Schnappschuss
Sohnes gegenüber das Richtige zu tun, einem Freund, den das mitleidlose System auf den Schrotthaufen befördert hatte, und das war ihr – Vyner versuchte die Banknoten in ihrer kleinen Faust zu zählen – fünfhundert Dollar wert.
Na ja, ein Mann musste ja essen. Die zehntausend Dollar von dem morgendlichen Einsatz standen zwar noch aus, aber es war ja nicht so, als hätte er jede Woche – oder auch nur jedes Jahr – jemanden umzulegen, also nahm er mit, was er kriegen konnte. Fünf Minuten später saß er in seinem Wagen und las die SMS. Da stand nur: Exitus anonymer Anrufer .
Das konnte nur Gent gewesen sein, dieser Versager.
Vyner zog sein Notizbuch aus dem Handschuhfach. Dabei fiel ein Latexhandschuh heraus, eine Schachtel Streichhölzer, eine Ersatzglühbirne für das Bremslicht und schließlich sein angeknabberter Bic-Kugelschreiber.
Ich bin der krumme Zahn einer einsamen Klippe ,schrieb er. Dann grübelte er noch ein wenig. Ich bin der Bote des Schicksals .
Zu schade, dass er auf die Peninsula zurück musste. Zu schade, dass er dafür nicht bezahlt wurde.
Während Challis auf den Abschleppwagen wartete, der seinen Wagen von der Lofty Ridge Road abholen sollte, und auf ein Taxi, um nach Hause zu kommen, bekam er zwei Anrufe.
Erst Tessa Kane. »Wieso erfahre ich etwas so Wichtiges aus den Sieben-Uhr-Nachrichten, Hal?«
»Tut mir leid, hab ich vergessen«, antwortetet Challis wahrheitsgemäß.
Er war froh, eine freundliche Stimme in der Dunkelheit zu hören, doch auf subtile und obskure Weise lief das Gespräch in die falsche Richtung.
»Was genau hat dir denn diese Person mitgeteilt?«, wollte Tessa wissen.
»Recht wenig.«
»Mann oder Frau?«
»Bleibt das unter uns?«
»In den letzten Monaten hast du es doch sowieso nicht für wert erachtet, mir irgendetwas Offizielles zu erzählen. Ich rufe immer an, du nie.«
Challis überkam ein Gefühl von Wut und Verzweiflung. Ein Teil von ihm wollte sie beschwichtigen, ein anderer Teil wollte ihr helfen, und ein kleinerer Teil wollte sie wiedersehen. Er versuchte, es sich in dem engen Triumph bequem zu machen. »Er sagte, Zitat: ›Ich habe nicht gewusst, dass er so weit gehen würde.‹«
Tessa dachte darüber nach. »Und was noch?«
»Nichts.«
Challis wartete ab. Aber im Warten war Tessa ihm jederzeit haushoch überlegen. »Er fragte, ob ich für den Fall verantwortlich sei. Das bestätigte ich dem Anrufer. Dann beunruhigte ihn auf einmal etwas, und er legte auf.«
Tessa sagte nichts.
»Er wurde ganz aufgeregt und fragte, ob ich den Anruf zurückverfolgen ließe. Das hatte ich, hat aber nichts gebracht. Aufgezeichnet habe ich ihn auch.«
»Rückruf?«
»Das habe ich getan, ist auch jemand drangegangen. Ein Münztelefon in einem Supermarkt.«
»Welcher?«
»Hör mal, Tess. Ich kann dir nicht mehr sagen.«
Er hörte – und sah es vor seinem geistigen Auge –, wie sie wütend wurde, doch die Explosion blieb aus. »Also gut«, sagte sie und legte auf.
Challis seufzte; das Telefon klingelte erneut. »Challis.«
»McQuarrie.«
»Ja, Sir?«
Der Superintendent war kurz angebunden. »Warum hat man mir nichts davon gesagt?«
»Sir?«
»Von diesem anonymen Hinweis.«
»Sir, ich –«
»Ich muss es aus den Abendnachrichten erfahren.«
»Es handelte sich nicht um einen Hinweis. Nur um einen Anruf. Es war ein Mann am Apparat, der erschüttert wirkte, so als seien die Schüsse nicht Teil des Plans heute Morgen gewesen, aber er hat aufgelegt, bevor ich ihn fragen konnte.«
»Und Ihnen ist nicht die Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass Sie durch diese Verlautbarung in den Medien den Schützen verschreckt haben könnten, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dass er nun losziehen und seine Komplizen zum Schweigen bringen könnte?«
»Kalkuliertes Risiko«, erwiderte Challis ruhig.
»Das geht auf Ihre Kappe, Inspector, auf Ihre ganz allein. Sonst noch etwas?«
»Nicht im Augenblick.«
»Na, graben Sie weiter.«
»Sir«, sagte Challis, aber die Leitung war schon tot.
Dann führte er selbst ein Telefonat.
20
Ellen machte eine Lasagne zum Abendessen, weil sie wusste, dass ihrem Mann das gefallen würde. Sie erkannte den Impuls, der dahinter steckte, ein Impuls, der Sozialarbeitern, Beratungsstellen und der Polizei aus endlosen Fällen häuslicher Gewalt bekannt war. Frauen, und manchmal auch Männer, bemühten sich vergeblich, ihrem Partner etwas zu Gefallen zu tun, sie schlichteten Streitereien, übertünchten Risse, hielten still
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