Schnappschuss
am Zieh-doch-an-was-du-willst-Tag müssen wir Ros mindestens eine halbe Stunde früher aus dem Bett holen. Sie flippt halb aus deswegen, das arme Ding. ›Seh ich blöd darin aus?‹ ›Bist du sicher, dass Verrückter-Haare-Tag ist?‹ ›Du machst das ganz falsch‹, und so weiter und so fort.«
Das einzige Kind der Suttons war eine blasse schmächtige Achtjährige.
»Hmhm«, machte Ellen.
»Mathe ist noch so eine Sache, die ihr große Sorgen macht.«
Na, so viel Glück möchte ich haben, dachte Ellen. Um die Litanei endlich zu beenden, fragte sie: »Und, hast du mit Mrs. Super gesprochen?«
Scobie stöhnte. »O Mann.«
»So schlimm?«
»Sie hatte viel zu sagen, hat aber nichts gesagt, falls du verstehst, was ich meine.«
Ellen nickte. »Janine war mit ihrem Sohn verheiratet und schon allein aus diesem Grund ein Ausbund an Tugendhaftigkeit.«
»So in etwa«, sagte Scobie.
Andy Asche fuhr am Secondary College in Waterloo vorbei. Mittagspause. Natalie, die am Haupteingang heurmlungerte, nickte ihm zu, das vereinbarte Signal, dass sie noch immer vorhatte, während der Nachmittagspause abzuhauen und sich mit ihm an der Ecke zu treffen.
Am Nachmittag schlugen sie in einem Haus in Penzance Beach zu. Andy hatte eine ganze Latte möglicher Ziele. Halbtags arbeitete er bei der Gemeinde, eine Tätigkeit, bei der er überall auf der Peninsula herumkam. Letzten Monat zum Beispiel hatte er zwei Tage damit verbracht, jedem Haus in Penzance Beach neue Mülleimer zuzustellen. Ein andermal begleitete er vielleicht den zuständigen Mann vom Liegenschaftsamt zur Werteinschätzung von Immobilien, der bei jedem Grundstück vorbeiging, Verbesserungen notierte und Maßnahmen ergriff, um die Grundstücksabgaben das nächste Mal wieder erhöhen zu können. Oder er kurvte über die Seitenstraßen und markierte Gräben und Abzugskanäle, die mit Sand, Zweigen und Kiefernnadeln verstopft waren.
Jedenfalls hatte er jede Menge Infos parat. Dieses und jenes Haus steht den ganzen Tag leer. Ein anderes Haus wird nur am Wochenende bewohnt, ein drittes nur im Sommer. Diese Straße taugt nichts, da gibt es immer jemanden, der im Garten herummuckert oder aus dem Fenster glotzt. Jene Straße ist voller kläffender Köter. In diesem Haus befindet sich eine funkelnagelneue Sicherheitsanlage, in dem Haus gibt es gar keine, trotz des Aufklebers am Fenster.
Penzance Beach brachte immer was ein. Ein paar Ortsansässige wohnten dort zwar das ganze Jahr über, doch ansonsten bestand die Gegend aus bescheiden wirkenden Strandhütten, die reichen Stadtmenschen gehörten, welche gern an den Wochenenden oder in den Ferien hierher kamen und das Maß an Komfort genießen wollten, an das sie sich in der Stadt gewöhnt hatten: erstklassige Fernseher, Videorekorder, DVD-Spieler, Mikrowellen, Sportausrüstungen, Klamotten, und in den Kinderzimmern lagen Handys, Bargeld und Walkmans einfach so herum. Reichtum machte die Kiddies gleichgültig gegenüber Reichtum. Andys Mutter hätte ihm das Fell gegerbt, wenn er mit seinen Sachen so umgegangen wäre.
27
Nach der morgendlichen Lagebesprechung hatte Challis Anfragen um Amtshilfe bei der Polizei und den Gefängnisverwaltungen in New South Wales eingereicht, doch als sich bis Mittag nichts Konkretes ergab, holte er sich ein Sandwich aus der Kantine und sah in seinem Postfach nach. Das oberste Blatt war ein Rundschreiben: Wenn es Umstände und Vorschriften erlauben , werden alle uniformierten und zivilen Angehörigen der Victoria Police hiermit angewiesen , beide Seiten eines Blattes Papier zu verwenden , statt dafür zwei Blätter zu benutzen .Beinahe hätte Challis das Rundschreiben zerknüllt und in den Papierkorb gepfeffert, aber die Rückseite war leer, also tat er das Richtige und nahm das Blatt mit nach oben, um es als Schmierpapier zu verwenden.
Dann rief Waterloo Motors an und teilte ihm mit, dass sein Ersatzwagen da sei. Er warf sich den Mantel über und verließ das Revier durch die Hintertür, um den Reportern zu entgehen, die den Haupteingang belagerten. Waterloo Motors war vollgestopft mit Automobilen, die auf Wartung oder Reparatur warteten oder darauf, von ihren Besitzern abgeholt zu werden. Er holte schnell seinen Leihwagen ab, einen durchgerosteten Toyota mit Zierfelgen, einem flauschig bezogenen Lenkrad und dem Schriftzug »Waterloo Motors« auf der Karosserie. Er nahm den Wagenschlüssel und fuhr zurück zum Revier, wo er sich die kumpelhaften Scherze einiger autoverrückter Constables
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