Schnappschuss
Haare waren frisch gewaschen. Challis legte seine Hände auf die Knie.
»Hallo.«
»Wollen Sie zu mir?«
»Ja.«
»Ich bin in der Küche.«
McQuarrie machte Challis mit wütendem Gesicht Platz und ließ ihn ein. Challis folgte Georgia in die Küche, wo sie sich sofort an den Tisch setzte, auf dem schon eine heiße Milch und ein Teller mit einem dicken Honigpfannkuchen standen. Meg stellte sich neben sie und schaute nervös an Challis vorbei hinaus in den Flur. Challis drehte sich um. Robert McQuarrie stand ebenfalls da, und die Situation blieb weiter angespannt. Dann machte McQuarrie zornig kehrt und stapfte den Flur entlang.
Challis schaute wieder zu Meg hinüber und grinste. Sie erwiderte das Grinsen mit einem schwachen Lächeln und füllte an der Spüle den Wasserkessel.
Georgia, die den Rest ihres Pfannkuchens aß, sagte: »Ich glaub, ich gehe nächste Woche wieder in die Schule. Glauben Sie, das ist eine gute Idee?«
Challis sah hilflos zu Meg hinüber und lächelte Georgia dann an. »Ich finde, das hört sich wie eine sehr gute Idee an. Vermisst du deine Freundinnen?«
»Hmhm«, machte Georgia.
»Meinst du, du kannst mir noch ein paar Fragen beantworten?«
»Hmhm. Was wollen Sie denn wissen?«
Challis legte die Fotos von Coulter und den anderen Männern auf den Tisch. Scobie hatte gute Arbeit geleistet. Nichts deutete darauf hin, dass die Männer nackt fotografiert worden waren. »Erkennst du jemanden?«
Georgia besah sich ein Foto nach dem anderen. »Nein.«
»Den, der deine Mutter erschossen hat? Den Fahrer des alten Autos?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Challis sammelte die Bilder wieder ein und legte ihre Zeichnungen hin. »Erinnerst du dich noch an die hier?«
Georgia sah ihn ernst und mit strahlenden Augen an. »Da in der Ecke steht mein Name, sehen Sie?«
»Ja.«
»Da liegt meine Ma auf dem Boden.«
Challis nickte. »Ich interessiere mich vor allem für den Fahrer des Wagens, mit dem die bösen Männer gekommen sind.«
»Ich habe noch mehr Bilder«, sagte Georgia.
»Wirklich?«
Sie verschwand aus der Küche. Challis und die Tante lächelten sich höflich und traurig an. Meg gab ihm eine Tasse Instantkaffee. Die Zentralheizung ging an, und Challis spürte die warme Luft, die aus einer Wandöffnung über ihn strömte. Dann trank er einen Schluck. Der Kaffee war scheußlich, dünn, schal, und daran würde auch Zucker, Milch oder ein Extralöffel Granulat nichts ändern.
Georgia kehrte mir drei Zeichnungen zurück. Die Situation war irgendwie morbid und ungesund. Ein kleines Kind durchlebte die Ermordung der Mutter durch Zeichnungen und Gespräche, doch Challis fühlte sich bestärkt durch die Wärme und Friedlichkeit der Küchenatmosphäre, durch die Tatsache, dass Meg nicht schimpfte oder ängstlich um Georgia herumflatterte, und durch Georgias eigene erwachsene, ja weise Haltung. »Das sind tolle Zeichnungen«, sagte er.
Zwei davon waren in etwa gleich, doch auf dem dritten Blatt war das Auto der Täter von der Seite zu sehen. Cremefarbene Karosserie, gelbe Fahrertür, genau wie sie am Tag der Tat gesagt hatte.
Challis konzentrierte sich auf den Fahrer, der seinen Arm aus dem Fenster gehängt hatte, die typische Fahrerpose eines jungen, taffen Typen. Und auch auf einer der neueren Zeichnungen war dieselbe klobige Hand mit den verschmierten Umrissen zu sehen.
Challis achtete sorgfältig darauf, keine Suggestivfragen zu stellen. Stattdessen deutete er auf die Stelle und sagte: »Als ich noch ein Kind war, hatte ich immer Schwierigkeiten, Hände zu malen.«
Georgia runzelte die Stirn. Kritisierte Challis ihre Zeichenkünste oder gestand er ihr nur, wie schlecht seine eigenen waren? »Erst habe ich eine richtige Hand gemalt, aber dann habe ich mich wieder erinnert und einen der Finger wegradiert.«
»Wegradiert?«
»Tut das weh, wenn ein Finger abgeschnitten wird?«, fragte Georgia.
Challis wurde ganz still. »Ich denke schon«, sagte er bedächtig. »Weißt du noch, welcher Finger?«
Georgia reckte die rechte Hand hoch und schaute sie sorgfältig an. »Der da«, sagte sie schließlich und zeigte auf den Ringfinger.
Gegen Mittag war Challis wieder im Büro. Ellen und Scobie waren ebenfalls dort, und ihr breites, angespanntes, aber hoffnungsvolles Grinsen verriet ihm, dass sich etwas getan hatte.
41
Raymond Lowrys Frau war eine kleine, entmutigt wirkende Person mit abgespanntem Gesicht. »Es war eher verbal als physisch«, sagte sie. Dann schwieg sie kurz. »Ray
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