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Schnappschuss

Schnappschuss

Titel: Schnappschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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mit all jenen, die Christina Traynor getroffen oder gesehen haben konnten.
    Challis schenkte sich noch einen Kaffee ein und schaltete das Radio für die Zehn-Uhr-Nachrichten an. Wieder war ein junger Australier in Indonesien verhaftet worden, weil er Heroin außer Landes schmuggeln wollte. Danach gab es eine Meldung über die gestrige Anhörung vor Gericht, bei der ein für die Öffentlichkeitsarbeit zuständiger Offizier der Navy auf die Frage nach dem Drogenmissbrauch unter Kadetten sagte, die Haltung der Navy sei »Null-Toleranz«.
    Seine Gedanken schweiften ab. Was würden seine Eltern wohl über diese Geschichte sagen? Er ertappte sich oft dabei, wie er die Welt mit ihren Augen zu sehen versuchte. Hal war das spätgeborene Kind eines Vaters, der im Zweiten Weltkrieg Navigator bei der Royal Australian Air Force gewesen war, und einer Mutter, die als Krankenschwester bei der Armee gedient hatte. Damals hatte es wohl kaum Drogenmissbrauch gegeben, jedenfalls konnte Hal sich das nicht vorstellen, mal abgesehen von Alkohol und Tabak – vielleicht noch etwas Kokain und Heroin bei der Großstadt-Boheme. Die beiden Weltkriege hatten zudem einen simplen Wertebegriff heranreifen lassen: Australier galten als mutig, praktisch veranlagt, einfallsreich, egalitär, sauber, kameradschaftlich und loyal. Konservative Regierungen und die breite Presse vertraten noch immer diese Ansicht, doch Challis fand, dass sich die Dinge grundsätzlich verändert hatten. Mut, Loyalität, Gleichheitsgedanke, Patriotismus und ein junger Verstand in einem jungen Körper, all das waren Medienbilder, die von fünfundsechzigjährigen Politikern, Sportkommentatoren und Hassradio-Reportern in deren Anrufsendungen breitgetreten wurden, die mit einem Auge auf ihre Einschaltquoten und mit dem anderen auf die Wünsche ihrer Sponsoren schielten. Doch das Konzept war aus der Mode gekommen und hatte keinerlei Bezug mehr mit der Wirklichkeit. Drogen gehörten heute zum Alltag, das alte Australien nicht mehr. Die Drogen hatten die Verbrechensrate steigen lassen und die Taten wurden immer gewalttätiger und unvorhersehbarer, was Challis’ Job nicht einfacher machte. Aber hören wollte das niemand.
    Als es ihm in seinem Kabuff zu eng wurde, ging er hinüber in das große Zimmer der Einsatzzentrale, wo die Akte McQuarrie lag, setzte sich hin und starrte die Regionalkarte an, die an der Wand hing. Die Mörder konnten von überall auf der Halbinsel – oder darüber hinaus – zu Mrs. Humphreys’ Haus gefahren sein.
    Als Challis Georgias ernster Blick einfiel, nahm er ihre Zeichnungen, legte sie nebeneinander aus und versuchte, sich in sie hineinzuversetzen: ihren Blickwinkel, was sie sah, was sie nicht gesehen haben konnte, was sie vielleicht erfunden hatte. Ihre Darstellung des Tatortes war zwar unvollständig, kam aber den Gegebenheiten recht nahe. Sie hatte den Täter nicht als Ungeheuer dargestellt, sondern als Mann in einem Mantel, mit dunkler Brille und dürrem Gesicht. Der Fahrer hatte ein Mondgesicht und einen kahlrasierten Schädel, und sie hatte seinen Arm gemalt, der lässig aus dem Fahrerfenster baumelte.
    Challis betrachtete den Arm genauer. Georgias Sinn für Perspektive war eigenartig, aber ihre Linien waren im Allgemeinen sauber und präzise, deshalb blieb die klumpige Form der Hand rätselhaft. Challis griff nach dem Telefonhörer.
     
    Am späten Vormittag klopfte er an Robert McQuarries Haustür in Mount Eliza. McQuarrie öffnete selbst und wollte mit hochrotem Gesicht von ihm wissen: »Was wollen Sie?«
    Challis hatte angenommen, dass Robert arbeiten war. »Ich muss kurz mit Georgia sprechen. Das hatte ich mit Meg geklärt.«
    »Nun, das hätte sie erst mit mir absprechen müssen. Meine Tochter trauert, müssen Sie wissen.«
    »Robert, ich muss mit ihr reden.«
    Wieder zuckte McQuarrie zusammen, einfach beim Vornamen genannt zu werden, und starrte Challis wütend an. »Sie glauben, ich wars.«
    Das war eine Feststellung, keine Frage. »Und, waren Sie es?«
    »Nein.«
    Challis sah ihn eindringlich an. »Dann haben Sie ja nichts zu befürchten.«
    Mit einer Art Schluchzer sagte Robert McQuarrie: »Sie haben meinem Vater die Fotos gezeigt, Sie Mistkerl.«
    »Das ließ sich nicht umgehen.«
    »Sie sind das Letzte, wissen Sie das? Und, finde ich mich bald im Progress wieder? Haben Sie auch schön Kopien verteilt?«
    »Dad?«
    Georgia linste hinter den Beinen ihres Vaters zu Challis hinüber. Sie trug einen pinkfarbenen Trainingsanzug, ihre

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