Schnappschuss
Abend nach Hause kam, saß Alan vor der Glotze und schaute sich eine DVD an: einen Kriegsfilm, wie überraschend. Ellen machte auf dem Absatz kehrt. »Hast du schon gegessen?«
Mit den Augen fest auf der Mattscheibe, gestikulierte er mit der Fernbedienung. »Ja.«
Also wärmte sie die Reste auf und aß am Küchentisch. Normalerweise war Sonntagabend Kinoabend, aber Alan hatte morgen frei. Als Larrayne noch zu Hause wohnte, hatte Ellen die Sonntage geliebt. Sie hatten Pizza gegessen, Fish and Chips oder Käsetoast, hatten mit den Tellern auf dem Schoß vor dem Fernseher gehockt und sich einen guten Film wie Emma , Sinn und Sinnlichkeit oder Tatsächlich … Liebe angeschaut. Manchmal hatte sich Alan zu ihnen gesellt, aber er blieb nur bis zum Ende, wenn es sich um einen Actionfilm handelte, und die einzigen, die Ellen und Larrayne ertragen konnten, waren die alten James-Bond- und Indiana-Jones-Filme oder Actionknaller mit ein wenig Klasse, wie Heat . Titanic hatteAlan wahrscheinlich nur wegen Kate Winslets Busen und wegen des Schiffsuntergangs angeschaut, nicht wegen der Figuren oder der Handlung.
Nun wohnte Larrayne in der City, und Ellen spürte den Verlust. Larrayne schien noch in allen Ecken des Hauses zu leben, knapp außerhalb von Ellens Augenwinkeln. Ellens verwitwete Mutter hatte an demselben Phänomen gelitten: »Andauernd erhasche ich etwas von deinem Dad«, hatte sie gesagt. »Nicht seinen Geist, das meine ich nicht. Die besondere Art, wie er die Zeitung hielt oder durch eine Tür ging oder die Teller wegstellte.« Und nun erhaschte Ellen immer wieder etwas von Larrayne, vermisste sogar ihre Eigenheiten, die sie früher fast in den Wahnsinn getrieben hatten, wie zum Beispiel die Angewohnheit, beim Zähneputzen nicht an einem Ort zu bleiben, sondern mit der summenden elektrischen Zahnbürste im Mund das Bad zu verlassen und den Flur entlang durch die Zimmer zu wandern.
Ellen stocherte in ihrem Essen herum, sah das tote Pferd, die tote Reiterin, den umgestürzten Van vor ihrem geistigen Auge.
War Larrayne leicht verwundbar? Sie war das erste Mal fort von zu Hause. Überall Drogen, Abendseminare und der lange Heimweg über den düsteren Campus und durch dunkle Straßen, der wahre Freund, der sich als Axtmörder entpuppt. Und am schlimmsten: Sie würde sich das Herz brechen. Aber das musste ja wohl früher oder später passieren.
Also rief Ellen an, mehrmals. Keiner da. Larrayne und ihre Mitbewohner waren ausgeflogen.
Für den Abend? Die ganze Nacht?
Wohin?
Was tat sie da?
Mit wem?
Das übliche Wer, Was, Wo, Wann und Warum der Polizeiroutine.
Und die ganze Zeit über versuchte sie sich einzureden, dass sie ihren Mann nicht wegen Challis, sondern aus eigenen Beweggründen verlassen wollte.
40
Challis verbrachte den Großteil des Freitagmorgens im Büro der CIU. Schnelle oder akkurate Informationen von Witsec oder der Gefängnisverwaltung von New South Wales zu bekommen, stellte sich als schwierig heraus. Den Ergebnissen der aus Mornington ausgeliehenen DCs zufolge war Hayden Coulter kaum mehr als das leichte Frisieren der Bücher seiner Klienten vorzuwerfen. Handfeste Dinge, die ihn – oder einen der anderen Männer – mit dem Mord an Janine McQuarrie in Verbindung hätten bringen können, gab es nicht. Coulter erhielt von mehreren Personen, darunter einem Rennpferdbesitzer, einem Trainer und einem Stallburschen, ein Alibi. Eine Reihe von Sekretärinnen, Empfangsdamen und Arbeitskollegen bildeten die Alibis der anderen Männer. Zudem hatten die Nachforschungen keinen heimlichen Liebhaber zu Tage gefördert, und Challis konnte nur vermuten, dass Janine ihrer Schwester Meg so fröhlich erschienen war, weil sie annahm, etwas gegen ihren Ehemann in den Händen zu halten. Auch der anonyme Anrufer hatte sich nicht wieder gemeldet.
Dann schaute Challis bei Scobie Sutton vorbei, der die Bilder von Janines Handy in Porträtaufnahmen von Coulter, dem Chirurgen und dem Fondsmanager umwandelte, Aufnahmen, die Challis später Georgia McQuarrie zeigen wollte. Scobie hockte vor seinem Computermonitor, und alles an ihm strahlte Widerwillen aus, so als fürchte er, sich bei dieser Arbeit zu beschmutzen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Challis, ob Sutton nicht zu sensibel und zu moralisch war für diesen Job. Doch er sagte nichts, kehrte in sein winziges Büro zurück und fragte sich, was Ellen wohl gerade machte. Destry war hinsichtlich gewisser forensischer Spuren von Tatort und Unfallort unterwegs und sprach
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