Schnappschuss
hatte Probleme damit, seine Wut zu verarbeiten.«
Aus ihrem Mund hörte sich die Bemerkung merkwürdig an. »Hat Janine McQuarrie das gesagt?«, fragte Challis.
Deborah Lowry rutschte auf ihrem Stuhl herum und nickte. Sie saßen in einem Verhörraum der CIU mit Blick hinaus auf den Parkplatz. Ellen beugte sich vor und berührte die Frau am Handgelenk. »Eher verbal als physisch, aber geschlagen hat er Sie manchmal?«
»Ja.«
»Also haben Sie sich Hilfe gesucht.«
»Wenn ich das doch bloß nicht gemacht hätte!«
»Warum denn?«
»Ich konnte ja nicht ahnen, wie sie so ist!«
»Janine McQuarrie?«
»Die ist gleich in die Luft gegangen und hat gesagt, Männer wie Ray müssten dafür zahlen, es sei nicht genug, wenn sie vor Gericht einen auf die Finger kriegten, man müsse sie mit ihrer falschen Art konfrontieren.«
»Und das hat Sie bei Ihrem Mann gemacht.«
»Sie hätte mich damit bald umbringen können! Er ist hinterher nach Hause gestürmt, hat mich verprügelt und gebrüllt, er würde mich umbringen und sie auch.«
Challis lehnte sich auf seinem Plastikstuhl zurück und verschränkte die Arme. »Ist er fähig, jemanden zu töten? Glauben Sie, dass er es war?«
Deborah Lowry zuckte mit den Schultern und machte ein mürrisches Gesicht, so als würde ihre Gattenwahl ein schlechtes Licht auf sie selbst werfen.
»Immerhin haben Sie sich solche Sorgen gemacht, dass Sie heute hierher gekommen sind, um eine Aussage zu machen«, ermutigte Ellen sie.
»Ray geht ungeheuer schnell in die Luft. Keine Ahnung, wozu er alles fähig ist. Seit er nicht mehr bei der Navy ist, treibt er ein wenig ziellos herum. Sein Handyladen läuft nicht besonders. Er …«, sagte sie und gestikulierte hilflos.
Nachdem Deborah Lowry gegangen war, rief Challis Dominic O’Brien beim Bayside Counselling an, der sich jedoch weigerte, Janine McQuarries Akte über Deborah Lowry herauszugeben. »Mrs. Lowry ist nun meine Klientin, Inspector.«
»Ach.«
O’Brien setzte mit behäbiger Selbstzufriedenheit noch einen nach. »Und ich habe nicht die Absicht, Ihnen meine Einschätzung von Mrs. Lowry mitzuteilen.«
Challis seufzte verärgert. O’Brien bekam diese Verärgerung offenbar mit, und er fuhr fort: »Meiner Meinung nach stellt Mrs. Lowry allerdings keine Bedrohung für sich oder für andere dar. Sie müssen schon anderswo nach Ihrem Mörder suchen, Inspector.«
Gegen 14 Uhr wurde Raymond Lowry zur Befragung hereingebracht. Ellen fing an: »Sie waren früher bei der Navy, Mr. Lowry?«
Lowry, ein Ausbund an Langeweile, besah sich seine Fingernägel. »Ja und?«
»Sie sind viel herumgekommen und waren zuletzt auf der Marinebasis bei Waterloo stationiert. Es hat Ihnen hier gefallen, und als Sie die Navy verließen, haben Sie beschlossen, sich mit Ihrer Frau hier anzusiedeln?«
»Ja und?«, wiederholte sich Lowry und sah Challis an, so als wolle er ihm damit sagen, dass er wisse, woher Ellen ihre Informationen hatte.
»Ein guter Ort, um Kinder großzuziehen und ein Geschäft zu gründen.«
Lowry starrte sie an.
»Allerdings lebt Ihre Frau nicht mehr bei Ihnen, nicht wahr?«
Challis, der sich etwas abseits hingesetzt hatte, so als sei er nur ein Beobachter, während Ellen Destry die Fragen stellte, sah, wie Lowrys Kinn sich verspannte. Dann betrachtete er die kräftige Gestalt des Mannes, die großen Zähne, die er höhnisch grinsend entblößte, die kleinen, eng am Kopf liegenden Ohren. Ehemals Navy, jetzt Handyverkäufer: Welche Enttäuschungen trieben diesen Mann?
Challis warf Ellen einen seitlichen Blick zu und nickte fast unmerklich. Das Tonbandgerät lief. Lowry hatte bisher noch keinen Anwalt verlangt.
»Sie und Ihre Frau hatten Eheprobleme?«, fragte Ellen voller falscher Anteilnahme, die Lowry ihr sowieso nicht abkaufte.
»Das ist doch nichts Besonderes.«
»Natürlich nicht. Aber es bittet nicht jeder eine Psychologin um Rat.«
In dem kleinen Raum war es stickig, und Lowry hatte seine Polarfleecejacke über die Rückenlehne seines Stuhls gehängt. Er trug Jeans und einen Baumwollpullover mit V-Ausschnitt über einem weißen T-Shirt. Darunter verbargen sich seine von Steroiden oder Fitnessstudios gestählten Muskeln. Er runzelte die Stirn. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ihre Frau ging zu einer Psychologin, Mr. Lowry. Wussten Sie das nicht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Die Navy hat mich in zwei Jahren dreimal versetzt. Das war ziemlich nervig. Außerdem hatte meine Frau Angst, man könnte mich an den Golf
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