Schnapsdrosseln - Kriminalroman
sicher, dass allein ihr Schnapskonsum dafür gesorgt hatte, dass sie sich in ihrem hohen Alter noch vergleichsweise guter Gesundheit erfreute.
Und auch wenn ihr Lebenswerk, die Hutschendorf’sche Schnapsbrennerei, sich längst fest in den Händen ihrer Enkelin Lucia befand, identifizierte sie sich nach wie vor begeistert mit dem Produkt. Ihr Hausarzt hatte Britta auf besorgte Nachfrage hin erklärt, dass sie diesem Laster ruhig weiter huldigen dürfe. Irgendwann, so hatte er ihr zugeraunt, werde die Natur ein Einsehen haben – vermutlich bevor die Leber einen späten und bösen Rachefeldzug antreten konnte.
»Die krankhafte Fixierung auf niedriges Körpergewicht ist nichts weiter als der gesellschaftliche Ausdruck eines reduzierten Frauenbildes«, dozierte Britta nun, während sie Agathe ein Glas einschenkte. »Ich stehe da weit drüber. Und auf Männer, die Hungerhaken toll finden, kann ich sowieso verzichten.«
»Sie ist dünn, was?«, erkundigte sich Agathe mitfühlend. »Diese neue Kollegin von Wörner?«
Britta bereute kurz, dass sie ihr von den Ereignissen des Vormittags berichtet hatte. »Was weiß ich«, murmelte sie. »So genau hab ich mir die blöde Kuh nicht angesehen.«
»Natürlich nicht.« Agathe griff nach dem Glas und leerte es in einem Zug. »Noch einen«, verlangte sie. Britta füllte nach.
»Warum stinkt der Köter so nach Knoblauch?« Agathe zeigte anklagend auf Louis, der schnarchend neben ihrem Sessel lag.
»Zaziki. Er mag Zaziki. Er frisst kaum noch etwas anderes«, erklärte Britta. »Ich mache mir Sorgen. Aber vielleicht braucht sein Körper das. Er pupst viel weniger, seit er so viel Zaziki frisst.«
Agathe schnüffelte. »Pest oder Cholera …« Sie seufzte und lehnte sich zurück. »Wisst ihr schon, wie ihr es anfangen wollt?«
»Was?«
»Na, eure Ermittlungen. Und schieb bloß nicht wieder Margot vor. Diesmal hast du dir die Sache selbst zuzuschreiben. Du hast mit Wörner die Klingen gekreuzt.«
»Er hat mich provoziert!«
»Natürlich. Er war schon immer ein Provokateur. Aggressiver Typ, unser Wörner.«
»Hör auf, dich über mich lustig zu machen. Sonst erzähle ich dir nie mehr irgendwas!« Eine durchaus ernste Drohung. Agathe war seit nunmehr einem Jahr ans Haus gefesselt. Befand sie sich im ruhenden Zustand, war von Hinfälligkeit wenig zu bemerken. Geistig war sie vollkommen klar, weder ihre Neugier noch die Boshaftigkeit vom Alter gemildert. Allerdings ließ ihr Körper sie langsam, aber sicher im Stich. Die Knochen wurden lahm, die Gelenke steif. Sie ertrug das mit mehr oder weniger tapferem Gleichmut.
Britta besuchte sie regelmäßig und versorgte sie mit Nachrichten aus der Außenwelt. Um ihre restliche Zeit zu füllen, hatte Agathe auf ihre alten Tage die Welt des Internets für sich entdeckt. Einen erklecklichen Teil ihrer wachen Stunden verbrachte sie in einschlägigen sozialen Netzwerken.
»Ich mache mich nicht lustig«, behauptete sie nun. »Ich finde es sehr erfreulich, dass du endlich den Arsch hochkriegst. Diesem Blödmann zeigst, dass du Eier hast. Cojones, wie der Spanier sagt.«
»Er ist kein Blödmann«, widersprach Britta aus lieber Gewohnheit.
»Verteidige ihn nicht! Du musst endlich lernen, ihn zu hassen. Los, sag es. Sag: Wörner ist ein Blödmann! Wörner hat keine Eier in der Hose!«
»Das werde ich nicht. Das ist kindisch. Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du dich aus meinem Privatleben heraushalten würdest.«
»Den Teufel werde ich tun. Du bist meine Enkelin!«
»Ich bin nicht deine Enkelin!« Das war rein sachlich korrekt, wenngleich komplizierte familiäre Verquickungen die Sache schwierig machten. Britta hatte allerdings in diesem Moment überhaupt keine Lust, über diese Dinge zu streiten. »Statt ständig über Eier zu faseln, kannst du mir vielleicht einfach erklären, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskommen soll.«
»Gar nicht«, erklärte Agathe gut gelaunt. »Das kannst du vergessen. Wenn du jetzt klein beigibst, dann hat er gewonnen. Dann erholst du dich nie wieder.«
»Das ist doch kein Krieg!«
»Natürlich ist das ein Krieg! Du kannst dir nicht gefallen lassen, dass er so mit dir redet. Vor seiner neuen Gespielin!«
»Sie ist nicht seine …« Britta bremste sich. Es war ganz sicher weder zielführend noch hilfreich, die Lage mit Agathe zu besprechen. »Er hat sich im Ton vergriffen, sicher. Aber wenn man es genau betrachtet, hat er ein winziges bisschen recht. Also damit, dass es um Mord geht. Dass das eine
Weitere Kostenlose Bücher