Schnapsdrosseln - Kriminalroman
der gegen das Alter kämpfte, gegen das Versagen, innen und außen. Mit allen Mitteln.
»Es geht schon«, sagte sie. »Nur der Kreislauf.« Sie knallte die Autotür zu. Sie war nicht in der Verfassung für eine weitere Diskussion über die Firma. »Ich kann jetzt nicht, Papa, ich habe es eilig …«
»Was ist los?« Nun klang er alarmiert. »Maxi, Schatz, ist alles in Ordnung? Du siehst furchtbar aus. Hast du geweint?«
Was sollte der Ton? Schatz? Warum redete er so mit ihr? Ja, hätte sie gern gebrüllt. Ich habe geweint, und ich werde gleich wieder weinen. Mein Mann ist tot, ich bin allein, ich prügele mich auf offener Straße, alles geht den Bach runter!
Er griff nach ihrer Schulter. Schüttelte sie, nicht brutal, sondern ganz sacht.
»Maxi, warum bist du hier? Warum bist du nicht im Büro? Soll ich einen Arzt rufen?«
Sie atmete tief durch. Ein paar Minuten musste sie sich zusammenreißen. Sie sah ihm ins Gesicht. Las darin etwas, das sie nicht verstand. Nervosität. Angst sogar. Etwas, das fremd war.
»Ich … hatte einen Anruf«, murmelte sie.
Er schien blasser zu werden. »Was für einen Anruf?«
Sie räusperte sich, schluckte die hartnäckigen Tränen weg.
»Maxi, wovon sprichst du denn? Was für ein Anruf? Wer …«
Was war los mit ihm? Warum wirkte er so alarmiert?
»Elsa«, sagte sie. Es klang wie ein Krächzen. »Elsa hat mich angerufen.«
Sein Gesicht entspannte sich. »Elsa ist voll«, sagte er abfällig und ließ ihre Schultern los. »Sie hat gesoffen. Das hättest du doch merken müssen. Kein Grund, dich aufzuregen. Irgendwer war bei ihr, eine Frau, so eine Missionarin oder so, die hat bei mir geklingelt. Es war peinlich.« Er runzelte die Stirn. »Das geht so nicht. Du musst mit ihr reden. Sie kann hier nicht bleiben. Sie kann sich nicht so benehmen.«
»Herrgott!« Maxi trat einen Schritt zurück. »Hörst du dir eigentlich manchmal selbst zu? Sie ist außer sich vor Trauer …«
»Das ist sie nicht!« Dieters Stimme klang hart. »Du musst aufhören, dir etwas vorzumachen!«
Ein Teil von ihr wollte ihm zustimmen. Das machte Maxi noch wütender. »Es ist nicht alles so einfach, wie du immer denkst«, fuhr sie ihn an. »Du hasst sie, das weiß ich, du gibst dir ja weiß Gott keine Mühe, das zu verbergen. Aber sie ist meine Schwiegermutter. Sie macht Schreckliches durch. Und darum verlange ich, dass du sie in Ruhe lässt. Wenn du schon nicht fähig bist, Mitgefühl zu empfinden, dann versuch wenigstens, es vorzutäuschen!«
Sein Blick wurde hart. »Ich bin immer noch dein Vater.« Seine Stimme klang gepresst. »Du hast gar nichts von mir zu verlangen.«
Sie war zu weit gegangen. »Entschuldige«, sagte sie. »Aber ich bin am Ende.«
»Das weiß ich. Und eben darum ist es wichtig, dass du die Realität nicht aus den Augen verlierst. Du musst diese Frau loswerden. So schnell wie möglich. Sie denkt nur an sich. Wenn du jetzt nicht konsequent bist, dann hast du sie am Hals. Den Rest ihres erbärmlichen, aufgeblasenen Säuferinnenlebens.«
Maxi fühlte eine kalte, klare Ruhe in sich aufsteigen. »Sie denkt nur an sich, ja?« Sie musterte ihren Vater, bemühte sich, etwas anderes zu fühlen als diese emotionslose Distanz. »Da ist sie wohl nicht die Einzige hier. Es gibt sogar Menschen, die keinen einzigen Tag warten konnten, bevor sie Forderungen stellen und nach dem greifen, was zu holen ist. Deren höchste Priorität ganz offensichtlich ist, den eigenen Vorteil zu sichern …« Es hatte keinen Sinn. Sie hatte schon zu viel gesagt. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Es war nie der richtige Zeitpunkt, flüsterte eine gemeine kleine Stimme in ihrem Kopf. Ihr Vater sorgte dafür, dass dieser Zeitpunkt nicht kam.
»Ich gehe jetzt zu ihr«, sagte sie.
»Die Mühe kannst du dir sparen.« Er klang hämisch. »Sie ist nicht da. Offenbar hat es ihr zu lange gedauert, bis du Gewehr bei Fuß gestanden hast. Sie ist vor einer Viertelstunde abmarschiert.«
Maxi hätte sich ärgern müssen. Aber sie war einfach erleichtert. Sie wollte Elsa nicht sehen. Sie wollte ihren Vater nicht sehen. Sie wollte allein sein. Die Trümmer ihres Lebens betrachten, weinen, bis sie damit fertig war. Bis sie beginnen konnte aufzuräumen.
SECHZEHN
»Ist sie weg?« Norbert kauerte auf der Eckbank in der Küche, die Schultern leicht hochgezogen. Er erinnerte Stefanie an ein kleines Kind, das sich vor der Strafpredigt fürchtet.
Sie nickte. Versuchte, nicht wütend zu werden. Es war nicht seine Schuld. Sie
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