Schnarchen heilen
einer Horde viel geplagter Trojaner, die gerade ihre Stadt an das griechische Heer verloren hatten. Was Homer etwa 900 v. Chr. nicht beschrieben hatte, nämlich die Perspektive der Verlierer, holte der römische Dichter Vergil etwas im Jahre 20 v. Chr. in seiner „Äneis“ nach, da sich die Römer als direkte Nachkommen jenes trojanischen Prinzen sahen, der im letzten Moment mit seinen Getreuen aus der brennenden Stadt geflüchtet war. „Sie kamen über die Gräben bis zu den umgestürzten Zelten mit den Leichen ihrer stolzen Feinde. Pflichtvergessen fanden sie ihre Wächter auf dem Boden verstreut liegen. Sie hatten sich den Bauch voll geschlagen, lagen betrunken mit Wein auf dem Rücken und schnarchten.“ So ereilte die schlafenden Gegner der Tod, denn es wurden ihnen, während sie schnarchten, die Kehlen durchgeschnitten.
Allseits bereit zu sein und keinesfalls zu schnarchen, das war damals der Vorsatz von Christen wie von Heiden. Der Hunnenkönig Attila, der zu Zeiten der Völkerwanderung Europa in Schrecken versetzt hatte, schlief und schnarchte, als ihn der Tod auf dem Felde ereilte. Aber auch die frühen Kirchenväter warnten ihre Schäfchen: „Ihr schläft und schnarcht, ihr lästert Gott nach Gutdünken.“ Das Schnarchen als Ausdruck der Pflichtvergessenheit wandelt sich im Mittelalter zum Zeichen der Erdverbundenheit. Schnarchen ist wenig heldenhaft und befällt die, die dem Ruhm oder der Seligkeit am fernsten sind. Ein schnarchender Ritter ist undenkbar, das Schnarchen ist die Eigenschaft von Riesen oder Drachen. Erst in Geoffrey Chaucers „Canterbury Tales“, die das Ende des Mittelalters markieren, lobt ein Wallfahrer die Wirkungen des Weins, von denen das Schnarchen neben der Müdigkeit und den Trugbildern eine eher willkommene Folge darstellt. Man gibt sich dem Lebensgenuss hin, indem man gut isst und trinkt und dann in einen tiefen, angenehmen Schlaf verfällt. Schnarchen kann aber auch für potenzielle Übeltäter ein Anzeichen mangelnder Wachsamkeit des Opfers sein und sozusagen als Hinweis dafür dienen, dass die „Obrigkeit schnarcht“. Ebenfalls in den „Canterbury Tales“, in der Geschichte des Vogts, wird von einem Müller erzählt, der so reichlich dem Bier zugesprochen hatte, dass er im „Schlaf schnaubte wie ein Pferd und dabei des eigenen Schweifes nicht mehr gewahr war.“ Seine Frau, nebst ihrer schönen Tochter, stimmte in den „Gesang“ ein und zwar so kräftig, dass man sie eine Achtelmeile weit hören konnte. Es war der Familienchor, der zwei junge Männer, die unter demselben Dach übernachteten, am Schlaf hinderte. Der Müller hatte sie tags zuvor übervorteilt, und so beschlossen sie mit der abscheulichen Rationale, das Gesetz erlaube einem, der einen Schaden erlitten hat, sich schadlos zu halten, sich zu den schnarchenden Frauen zu schleichen. Jener, der die Müllerin dann „nachdrücklich und tief wie ein Tollwütiger mit seinem Stachel“ bedachte, erfuhr von ihr als Gegenleistung auch, wo das gestohlene Mehl versteckt worden war – Schnarchen als Katalysator ausgleichender Gerechtigkeit.
Der Spanier Miguel Cervantes hat nicht nur den ersten Roman der Geschichte verfasst, sondern auch das klassische Gegensatzpaar eines Ritters und seines Knappen entworfen. Heute gilt dieser Roman als erstes modernes literarisches Werk, da es den Heldenmythos zwar darstellt, ihn aber zugleich lächerlich macht. Es ist undenkbar, dass Don Quixote schnarcht, denn dazu ist er zu hochgewachsen, idealistisch und vergeistigt. Sancho Pansa aber, der ihn an praktischer Intelligenz und Witz weit übertrifft, ist ein leidenschaftlicher Schnarcher. Wann immer es etwas zu tun gibt, muss er erst einmal von seinem Herrn aufgeweckt werden. Er mag mitunter träge sein und zu allen Tages- und Nachtzeiten schlafen, während sein Herr auf große Taten sinnt – bei aller scheinbaren Faulheit aber agiert er schneller und effektiver als sein Herr. Es ist wie in der Fabel mit dem Hasen und dem Igel: Der Schläfer ruht sich deshalb aus, weil er mit Geistesgegenwart und Kräfteeinteilung zu leben versteht. Er schnarcht erst dann, wenn er sein Tagwerk durch gezielte Arbeit bereits erfüllt hat oder nichts Sinnvolles zu tun findet. Tatsächlich muss es entsetzlich langweilig gewesen sein, Knappe eines Ritters zu sein,d er gegen Windmühlenflügel kämpft und Wirtshausdirnen anschmachtet. Sancho Pansa machte seinen Job, und wenn er dazwischen Pause hatte, schlief er. Das Schnarchen ist in dem
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