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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
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sollen damit künftig Werbung für »ihre Stadt« machen – als wäre es noch ihre , oder als hätte jemand 14,95 Euro für ein lächerliches T-Shirt übrig! Gar nicht zu reden von der jährlichen Gedenkshow der westdeutschen Selbstdarsteller.
    40.000 Besucher zählten sie dieses Jahr. Und wer wirklich dort war, fragte sich, ob vielleicht noch dieselben Demonstranten-Zähler im Dienst sind, die früher die Teilnehmer der Paraden zum 1. Mai hochgerechnet haben. Möglicherweise steckt aber auch nur die Lobby der westdeutschen Wachskerzen-Industrie hinter diesen Wunschzahlen. Und selbst wenn es 5.000 waren, gingen die schnell wieder heim, als die kaum erträgliche LiveÜbertragung der Nikolaikirchenorgel auf dem Augustusplatz begann.
    Der Nikolaikirchenkantor stammt aus Bad Mergentheim, der »Künstlerische Leiter« des Lichtfestes aus Essen. Die Festrede hielt Nobert Lammert aus Bochum und beklagte, dass »vor die Hunde zu gehen scheint, was wir zum Funktionieren einer demokratischen und modernen Gesellschaft brauchen.« Aber wieso eigentlich? Etwa weil ein Bundestagspräsident Ermittlungen gegen Journalisten vorantreibt? Oder weil die Fiege-Bierkutschermütze »für besondere Verdienste um das Ruhrgebiet« einen wie Lammert schon dafür prädestiniert, Leipzigern zu erklären, dass die Proteste in Stuttgart nichts mit denen von 1989 zu tun haben? Spielte er damit womöglich auf den sinnlosen Milliardentunnel an, der auch unter Leipzigs Innenstadt gerade gebohrt wird? Wollte er uns loben oder verhöhnen, weil wir uns seit 20 Jahren alles gefallen lassen? Ganz schön unfair  – haben die Stuttgarter doch mehr als 60 Jahre gebraucht, um das zu begreifen!
    Ein Sänger namens Rolf Stahlofen recycelte dann noch ein sieben Jahre altes Lied mit dem Titel Zeit was zu ändern . Die Lichtfestspielleitung wollte damit so etwas wie eine neue Freiheitshymne in der Bach-Stadt etablieren und hielt den Musiker aus Süddeutschland wohl für den geeigneten Mann, nachdem er bereits den Uhu in Peter Maffays Tabaluga gesungen hat. Aber vielleicht muss man schon froh sein, wenn einem nicht auch noch der Wind of Change aus der Partnerstadt Hannover um die Ohren pfeift.
    Weil das Opernhaus am selben Tag mit Wagners Meistersingern  – immerhin das Werk eines echten Leipzigers – seinen 50. Geburtstag feierte, kam es zuvor noch zu einem niedlichen Eklat zwischen den westdeutschen Kultur- und Gedenkverwaltern der Stadt. Die Pressesprecherin der Oper hatte sich öffentlich über »so ein Bohei« geärgert, das um den 9. Oktober vor 21 Jahren gemacht werde. Noch schlimmer als die fehlende Absprache der Feierlichkeiten war offenbar dieses treffende, aber leider viel zu rheinische Wort, für das man ihr prompt einen unsensiblen Umgang mit der heiligen Friedlichen Revolution bescheinigte. Am Ende wurde die aus Westdeutschland stammende Pressesprecherin von ihren aus Westdeutschland stammenden Chefs nach Protesten von aus Westdeutschland stammenden Zeitungsredakteuren gegen eine neue Pressesprecherin aus West-Berlin getauscht. Wie zur Strafe kündigte der westdeutsche Oberbürgermeister kurz darauf an, dass die Oper aus Kostengründen bald nur noch sechs Monate im Jahr spielen könne.
    Den Leipziger Opernball, auf dem er mit seinesgleichen dieses Wochenende feierte, wird es wohl nicht treffen, auch wenn das echte Leipziger kaum schmerzen würde. Ein paar einheimische Schauspieler und Sportler waren zwar als Hofnarren auch noch dabei, aber sonst war alles wie immer: Draußen demonstrierten Nazis, angeführt von westdeutschen Funktionären. Die Polizei, angeführt vom westdeutschen Polizeipräsidenten der Stadt, versuchte, die aus Westdeutschland angereisten Gegendemonstranten von der Oper fernzuhalten, damit deren Eltern dort in Ruhe ihr Crépinette vom Milchkalb genießen konnten. »Leipziger Freiheit« nennen das westdeutsche Marketingstrategen. Davor hieß es: »Leipzig kommt«, doch mehr als den besten Sex in Deutschland hielt dieses Versprechen nie. Der neueste Slogan lautet deshalb – immerhin halbwegs ehrlich, weil nach unten offen: »Leipzig. The city with no limits.« Ein anderer träfe es auch: »Schnauze, Wessi!«

»Manche Menschen machen sich vor anderen
so klein wie möglich, um größer als diese zu bleiben.«
    Christian Morgenstern
     

Das Duell der Dinkelkekse
     
    Zweimal im Jahr ist der Fernsehabend im Eimer. Westdeutsche Eltern hören sich dann selber gern reden und liefern sich Kampfabstimmungen um Posten als

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