Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Witzel
Vom Netzwerk:
Elternsprecher. Ein Elternabend.
     
    Neben Beerdigungen und Dienstreisen nach Hamburg gehören für mich Elternabende zu den unvermeidlichen Terminen, die schon Tage vorher eine latente Grundübelkeit mit sich bringen. Bei uns kommt erschwerend hinzu, dass viele Eltern mit innerdeutschem Migrationshintergrund dieselbe Schule bevorzugen. Die Plätze sind knapp. Das allein scheint sie für bestimmte Leute noch attraktiver zu machen als der pädagogische oder gar christliche Hintergrund der Anstalt. Es ist eine Prestige-Frage – für uns natürlich nicht. Und selbst wenn die normale Wohngebietsschule direkt ins Gefängnis führt, wie auch wir uns seinerzeit von westdeutschen Zeitgeist-Magazinen einreden ließen, so kann der ständige Umgang mit ungezogenen ADS-Kindern und deren Eltern auch nicht schädlicher sein. Die Schule ist jedenfalls fest in ihrer Hand, wenn auch geografisch noch in Leipzig. Und so ähnlich wie die letzten Berliner in Neukölln bemühen sich inzwischen auch hier eher die Einheimischen um Integration.
    Es fängt damit an, dass man nie genau weiß, ob man neben einer Mutter oder einer Oma sitzt, die laut plappernd einen Stuhlkreis »viel kommunikativer« fände als so einen »autoritären« Frontal-Elternabend. Seltsamerweise kommen mir westdeutsche Eltern von gleichaltrigen Kindern immer älter vor, als sie vielleicht sind. Umso infantiler wirkt das grauhaarige Streberschnipsen bei der Frage nach einem Protokollführer und der unbändige Drang, aus allem einen Wettbewerb zu machen: Ob es um den Kuchenbasar für die Erdbebenopfer geht oder um die meisten überflüssigen Fragen zur Klassenfahrt  – an ihrem Benehmen auf Elternabenden sollt ihr sie erkennen.
    Eigentlich bräuchte so eine Veranstaltung kaum mehr als eine Dreiviertelstunde: Klassenfahrt, Blumen für die alten Elternsprecher, Wahl der neuen, dann vielleicht noch TOP 4: »Sonstiges« – und jeder könnte wieder zu Hause auf dem Sofa verfolgen, wer Millionär wird. Aber nein: Noch vor der 50-Euro-Frage für die Klassenkasse beginnt die obligatorische Klagerunde über das Schulessen, einem ostdeutschen Standard, den sie aus ihrer Heimat im Zweifel gar nicht kennen. Dennoch gibt es – darauf kann man wetten – alle halbe Jahre wieder endlose Diskussionen, ob nicht doch noch ein zweites oder drittes vegetarisches Menu verlangt und der Verkauf von Schokolade am benachbarten Kiosk ein für alle Mal verboten werden sollte.
    Nach der ersten Stunde beginnen einzelne Eltern, die Augen zu verdrehen. Meist sind es die, mit denen man schon bei der Einschulung instinktiv zusammengestanden hat, und – wie sich später herausstellte – mit deren Kindern die eigenen instinktiv befreundet sind. Es ist ein rätselhaftes Phänomen, das einem auch auf Partys, in Reisegruppen oder bei anderen gemischten Veranstaltungen immer wieder begegnet: Ein leiser Seufzer, ein vielsagender Blick, alles klar. Es hat nach 20 Jahren nichts mehr mit Mode und nur noch selten mit Dialekten zu tun: Wir fallen einander auf, weil wir nicht weiter auffallen, was den anderen vermutlich nicht mal auffällt, weil sie damit beschäftigt sind, aufzufallen. Kein Wort müssen die einen verlieren, um sich über die anderen einig zu sein: Wie die sich produzieren und genau wie ihr Nachwuchs den Ton in der Klasse angeben wollen. Wie sie die Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder mit ihren eigenen vertuschen und sich notfalls über Mobbing beklagen, wenn das nicht allen gefällt.
    Das ist nach der Schulspeisung ihr zweites Lieblingsthema: Offenbar finden die einheimischen Kinder einfache Mittel gegen die aufgeblasenen Angeber unter ihnen, schubsen sie beiseite oder schließen sie vom Spiel aus, wenn sie auf dem Schulhof die Attitüden ihrer Eltern nachahmen. Vielleicht ist es sogar das, was gern mit Fremdenfeindlichkeit verwechselt wird, sofern sie es nicht sowieso mit Neid abtun. Auf jeden Fall liegt es nie an ihnen selbst.
    Wenn die Wunderkinder nicht still sitzen können, erklären das ihre Eltern gern mit Unterforderung. Bestätigt sich die Hochbegabung auch nach zehn Tests nicht, sind entweder die Ärzte zu blöd oder der kleine Prinz wird eben mit Medikamenten ruhig gestellt. Die Lehrer können noch so jung oder selbst aus dem Westen sein – in kaum einer Versammlung fehlt der Hinweis auf »alte Volksbildungsmethoden«. Überhaupt haben es ihre »kleinen Individualisten« in dieser immer noch von Zwangskollektivierung geprägten Gegend besonders schwer. Nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher