Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
selbst aus der Töpfchen-Zone. Und wo liegt Kirchweidach? Nur eine Stunde von Aßling, wo westdeutsche Neonazis – dass es so was dort überhaupt gibt! – erst neulich ein Hakenkreuz in ein Maisfeld trampelten. Kann das ein Zufall sein? Was für eine Konfession hatten eigentlich Pfeiffers Eltern?
Als man 2005 bei einer Mutter aus – Achtung ! – Frankfurt/Oder neun Babyleichen fand, zum Teil in Blumentöpfen verscharrt, erklärte das der damalige Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm, mit der »erzwungenen Proletarisierung« im Osten. Er erntete dafür heftig Kritik, aber Pfeiffer sprang ihm sofort bei: Die Wahrscheinlichkeit, als Baby umgebracht zu werden, sei inzwischen in den neuen Ländern drei- bis viermal höher als im Westen. Seine Statistik ließ zwar außer Acht, dass selbst eine durchproletarisierte Kindsmörderin innerhalb eines Jahres schwerlich neun Babys bekommen und umbringen kann, aber dafür fragte auch niemand mehr nach den wahren Ursachen für harsche Pauschal-Urteile dieser Art. Wie er selbst wurde nämlich auch Schönbohm als Kind aus Brandenburg verschleppt. Offenbar wussten ihre Eltern, was sonst droht: Nachttopf oder Blumentopf. Dann doch lieber Bayern. Wer konnte auch ahnen, was die frühe Entwurzelung für schwere Traumata hinterlässt?
Wann immer ein Thema die Gesellschaft erregt, arbeitet der Kriminologe schon an einer Studie – oder würde gern. Ab November untersucht sein Institut die Personalakten aller 27 deutschen Bistümer nach Hinweisen auf Kinderschänder. Er weiß sofort, was eigentlich hinter den Unruhen in England steckt: Mal eine zu schwache Polizei, wie er im ZDF-Interview erläutert, mal ein zu »hartes Vorgehen« derselben, wie er in der Tagesschau erklärt. Mit jedem Fernsehauftritt wirbt er für neue Forschungsmittel. Oder mit seinen Mitteln um neue Fernsehauftritte – für unreflektierte Fans wie mich ist das oft schwer auseinanderzuhalten. Und einmal habe ich ihn sogar vermisst.
Report Mainz berichtete im April dieses Jahres über die Qualen westdeutscher Heimkinder, die man dort noch 1975 ohne Grund mit Medikamenten ruhigstellte, als Ersatz für frische Luft unter UV-Lampen grillte und – wie sich eine Säuglingsschwester erinnerte – auf Töpfe setzte und festband. War nach einer Stunde noch immer nichts drin, gab es Schläge mit einem nassen Waschlappen ins Gesicht. Und obwohl sich angeblich schon »mehrere wissenschaftliche Untersuchungen« mit den Folgen für die Kinder beschäftigt hatten, warteten die Zuschauer vergeblich auf einen O-Ton des einzigen ernst zu nehmenden Topf-Kriminologen.
Wenn nicht gerade an einem Wochenende London brennt und eine schnelle Ferndiagnose gefragt ist, hören offenbar nur noch ausländische Medien das Pfeiffen im Wald, und so las ich zuletzt – auf dem Weg zu einem meiner geheimen SED-Millionen-Konten – in der Schweizer Pendler-Zeitung 20 Minuten , dass sich vor allem evangelische Jugendliche gern prügeln. »Katholische Gemeinden«, so wurde ein gewisser Professor Pfeiffer aus Deutschland zitiert, erreichen »die Risikogruppe der männlichen Nicht-Gymnasiasten« besser. Vermutlich – aber das ist jetzt schon wieder so eine unzulässige Laien-Spekulation – ging die Reformation deshalb auch vom deutschen Osten aus. Oder sind die katholischen Geistlichen einfach zärtlicher? Ich jedenfalls schwanke nun, ob es wirklich reicht, einfach zu konvertieren oder ich mich gleich freiwillig zur Sicherungsverwahrung melde. Mit über 40 zähle ich schließlich auch wieder zur »Risikogruppe der männlichen Nicht-Gymnasiasten«. Außerdem nehmen meine Gewaltfantasien zu; manchmal kommt sogar ein Kriminologe darin vor. Bislang habe ich das noch mit Gesprächstherapie im Griff, und die geht so: Schnauze, Wessi!
»Die gesamte Welt der politischen Rituale im Westen
ist uns nach wie vor fremd.«
Reiner Haseloff, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt
Der Höllenfürst von Magdeburg
Ein Hauch von »Yes, we can selber« wehte durch Sachsen-Anhalt, als der neue Ministerpräsident antrat. Doch wie in Prag oder Kairo war auch der Magdeburger Frühling nur eine Illusion.
Kein vernünftiger Mensch in den ostdeutschen Kolonien interessiert sich noch für Politik und so hatte auch ich den Namen Haseloff nie gehört, bis er es kurz vor seiner Wahl mit einem einzigen Spruch sogar in die hiesigen Leitmedien BILD, RTL oder MDR schaffte. Vorher hatte er damit schon die so genannten Überregionalen der alten Welt
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