Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Erkennungszeichens an der Kleidung. Mein erstbester Freund Michael schwadroniert gern darüber, wir müssten den Spieß einfach mal umdrehen und alle Grundstücke kaufen, heimlich ihre Posten besetzen, das Land übernehmen – wenigstens erstmal bei uns. Wie Reiner Haseloff eben oder diese MDR-Gauner mit den veruntreuten Millionen. Partisanen in Nadelstreifen, Regierungssprecher, Bürgermeister – aber dann? Wer von uns geht schon freiwillig nach Bayern oder Hamburg? In den Odenwald womöglich, vielleicht noch mit Familie!
Außerdem: Ein Regime von innen zu verändern, es gewissermaßen mit den gleichen Waffen zu schlagen, hat noch nie funktioniert. Spartacus und die Verschwörer vom 20. Juli haben mit dem Leben dafür bezahlt. Dass sie die Partei durch Eintritt und Mitgliedsbeiträge nur reformieren wollten, dient ehemaligen SED-Genossen bis heute als Ausrede. Und wenn ich daran denke, mit was für Leuten ich in Magdeburg am Kabinettstisch gesessen hätte. Hölle! (Hölle! Hölle!)
Die gleichen dunklen Mächte haben es verhindert. Zum Glück! Natürlich wurde ein Niedersachse Regierungssprecher. Er hat eine altgediente Journalistin aus Bremen abgelöst, die nun nach 20 Jahren im Osten ihr Gnadenbrot in der Sächsischen Staatskanzlei zehrt und so noch die Legende nährt, hier hätten Frauen bessere Karrierechancen. Bis auf vier SPD-Minister – offenbar gleichermaßen Zugeständnisse an den Koalitionspartner und die Menschen, die einmal das Volk sein wollten – stammen alle anderen Magdeburger Kabinettsmitglieder aus Niedersachsen oder Westfalen. Ganz zu schweigen von Staatssekretären, und wer in Sachsen-Anhalt sonst noch ohne Berechtigungsschein Posten blockiert. Nach Haseloffs Vorstellungen muss es die Hölle sein. Er ist zwar ihr Chef, also praktisch der erste christliche Höllenfürst, aber irgendein Historiker aus Bielefeld wird eines Tages bestimmt herausfinden, dass er trotzdem nicht der erste CDU-Ministerpräsident Teufel ist.
»Heute können wir rausbrüllen,
was wir wollen – aber es hört keiner zu.«
Regine Hildebrandt
Der Gipsbein-Effekt
Löw oder Ballack, Bündnis ohne Grüne, mein Gehalt gegen das meiner Hamburger Chefs: Der Graben im geteilten Land wird immer tiefer – wenn man den Blick dafür hat. Eine Paranoia.
Immer noch schreiben mir wildfremde Leute, ich solle endlich selbst die Schnauze halten. Das sei doch alles »retro«, Ost-West, kalter Kaffee, kalter Krieg … Sogar eine gewisse Obsession wird mir für dieses Thema unterstellt. Lächerlich! Und doch – alte Stalinisten wissen Bescheid – nehme ich Kritik selbstkritisch ernst und versuche hier und da, vor allem aber hier, etwas großzügiger auf westdeutsche Charakterdefizite zu reagieren.
Eben in der Kaufhalle zum Beispiel, keine zwei Stunden her, gab es Theater, weil einer Kundin zwei Sorten antibakterieller Mülltüten zu wenig Auswahl war. Wegen meiner guten Vorsätze möchte ich ihren Dialekt nicht unnötig denunzieren. Die Verkäuferin allerdings verdrehte die Augen. Ich drehte zurück. Wir waren uns einig – das hilft auch schon oft und zeigt: Man kann sich durchaus beherrschen. Wir jedenfalls. Doch dann, am Zeitungsstand, schlug die Allgegenwart des Themas schon wieder erbarmungslos zu:
Da erschießt ein Bayer drei harmlose Schrottsammler in Sachsen. Da stirbt »Sexy Cora«, ein Mecklenburger Porno-Mädchen, unter dem Messer Hamburger Schönheitschirurgen. Da rast ein niedersächsischer Lokführer für die Salzgitter AG durch Sachsen-Anhalt – und zehn Einheimische sind tot ...
Gut, mag man einwenden, Tote mahnen immer. Aber bin ich denn der einzige Überlebende, dem noch auffällt, wie oft die Zeitungen die Herkunft von Tätern und Opfern verschweigen? Warum wohl? Wieso waren unsere Pisa-Musterschüler schon wieder drei Wochen in der Schule, während sich Bayern und Baden-Württemberger noch am Strand sielten? An unseren Stränden womöglich – und bei Sonne! Wer einmal genauer hinsieht, erkennt überall den schwelenden Grundkonflikt. Viel zu lange haben wir ihn in Witzen verharmlost, schöngeredet, verdrängt. Sogar undurchschaubar scheinende Phänomene bekommen auf einmal klare Konturen.
Da soll sich Michael Ballack auch noch dafür entschuldigen, dass ihm erst ein West-Berliner Migranten-Rüpel den Fuß kaputt trampelt und ihm kurz darauf alle in den Hintern treten. »Eine Farce«, nennt er, was DFB und gleichgeschaltete Medien für einen »würdigen Abschied« halten. Sie erkennen
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