Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Prenzlauer Berg ins Abgeordnetenhaus wählen lassen wollen, aus Hamburg, Coesfeld oder Freiburg? Sogar die ehemalige PDS lässt ehemalige BRD-Bürger antreten. Hängt das vielleicht mit einer Meldung aus der Südwest-Presse zusammen, nach der die Freiburger Polizei seit Juli zwei Sexualstraftäter weniger bewachen muss? Zwei der Männer, die dort vor kurzem aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, so heißt es, hätten eine neue Wohnung in Ostdeutschland gefunden. Wahrscheinlich mit Buschzulage.
Wie gesagt, vielleicht sehe ich überall Gipsbeine, so wie andere im Osten überall Fremdenfeindlichkeit sehen. Aber ganz alleine bin ich damit zum Glück nicht. Als sich an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst – unter dem Label Leipziger Schule seit Jahrzehnten für ihre gegenständliche Malereiausbildung berühmt – plötzlich lauter konzeptuell denkende Professoren aus Köln sammelten, tat der damalige Rektor, zufällig auch ein Rheinländer, alle Vorwürfe der »Günstlingswirtschaft« als reinen Zufall ab. Neo Rauch, der einheimische Star der Schule, erklärte uns das in der Leipziger Volkszeitung in gewohnt volkstümlichen Worten so:
»Es gibt ein psychologisches Phänomen, das ich salopp als transportable Xenophobie bezeichnen möchte. Man kommt irgendwohin und findet sehr spezifische Umstände vor, ist aber aus bestimmten Gründen gezwungen, sich dort zu etablieren, vielleicht weil man andernorts keine Chance dazu hatte. Man kommt dann nicht eher zur Ruhe, bis man die Verhältnisse vor Ort so zugerichtet hat, dass sie einem entsprechen ...«
»Transportable Xenophobie« – so »salopp« kann man das auch ausdrücken. Ich sag es mal etwas vornehmer: Schnauze, Wessi!
»Ich finde gut,
dass ich nicht mehr der Einzige bin
mit einer Flagge am Auto.«
Horst Köhler, Bundespräsident zur Fußball-WM 2006
Die Asamoah-Verschwörung
Es ist Nationalfeiertag und keiner weiß warum. Von der deutschen Einheit mal abgesehen birgt der 3. Oktober ein weiteres ebenso bizarres wie streng gehütetes Geheimnis. Eine Enthüllung.
Am 3. Oktober haben die meisten Deutschen frei. Manche ernten die letzten Äpfel im Garten, ein paar halten Reden, viele betrinken sich einfach. So feiert das Land nun schon seit 21 Jahren den »Tag der Deutschen Einheit«. Noch rätselhafter als der Anlass ist eigentlich nur das Datum.
Warum veräppeln wir uns nicht am 2. Oktober, halten die Festreden gleich am 11.11. oder saufen beispielsweise am 26. September etwas mehr als sonst? Warum musste die DDR ausgerechnet am 3. Oktober 1990 »dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beitreten«, wie es der offizielle Euphemismus seinerzeit noch formulierte? Es war keine leichte Recherche, zumal ich schon nach dieser ersten Fundstelle (»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich!«) ständig lachen musste. Aber schließlich habe ich es doch herausbekommen.
Es waren stressige Wochen damals. Die einen wollten unbedingt Westdeutsche werden, die anderen unbedingt Westdeutsche bleiben. Für die einen sollte sich alles ändern, für die anderen nur die Postleitzahlen, und das war schon eine Zumutung. Die einen dachten, wir renovieren dieses kleine, dreckige Land einmal komplett durch, schreiben die Kosten von den Steuern ab und vermieten es dann an die Ureinwohner weiter. Die anderen dachten, sie müssten nur Hammer, Zirkel und Ährenkranz aus ihrer Fahne schneiden und könnten danach weiter als Schmied, Ingenieur oder Bauer arbeiten. Dabei waren sie nur als Konsumenten vorgesehen, einen Beruf, für den es in der DDR nicht mal eine Ausbildung gab. Ihr erstes Westgeld hatten sie schon für gebrauchte Autos und Videorekorder ausgegeben, während die anderen nach 17 Millionen ausgehungerten Verbrauchern auch noch deren Grundstücke und Fabriken übernehmen wollten. Damit dieser Deal eine halbwegs rechtliche Grundlage bekam, musste der so genannte Einigungsvertrag noch schnell durch die Parlamente beider Staaten gepeitscht werden und die vier Siegermächte alles abnicken. Die einen waren so naiv wie die anderen. Gier und Torschlusspanik prägten den Sommer 1990. Fehlte nur noch ein Stichtag – soweit die offizielle Version.
Diese Hektik und das gern bemühte »enge historische Zeitfenster« dienen seitdem als Generalausrede für allerlei Fehler, die sich dabei eingeschlichen haben – wie es der historische Zeitfenster-Zufall will, stets zum Nachteil einer Seite. In Wahrheit spielten weder
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