Schneckenmühle
wird vom Krankenwagen in die Stadt gefahren. Am Abend hat er einen Gips. Da dürfen alle maldranklopfen. Mit einem Löffel kratzt man sich drunter, der darf aber nicht reinrutschen.
Muskeln, man braucht Muskeln. Muskeln lösen alle Probleme. Eigentlich müßte der Staatschef ja der Mann mit den meisten Muskeln sein. Wenn Tarzan gegen Winnetou kämpft, wer da wohl der stärkere wäre? Ich öffne und schließe beim Einkaufen immer die Hände, damit ich mit dem Gewicht der Beutel meine Unterarme trainiere, um einen kräftigeren Händedruck zu bekommen. Es ist mir peinlich, mich in der Straßenbahn an der Stange über meinem Kopf festzuhalten, weil dann meine Jacke runterrutscht und man mein dünnes Handgelenk sieht. Ich würde lieber wie unser Sportlehrer aussehen, bei dem wir immer hoffen, daß er in den Liegestütz fällt, weil dann durch die Spannung der Muskeln sein Uhrenarmband aus Metall aufschnappt. Das Gegenteil dieses Menschentyps sind die Sportbefreiten, die die Stunde über in Socken auf einer Bank sitzen oder bei Leistungskontrollen die Weiten auf dem Maßband ablesen. Der eine muß nie mitmachen, er hat eine senkrechte Narbe vom Hals bis zum Bauch, irgendeine Herzoperation. Wenn er nur
ein Mal
schnell renne, fiele er schon tot um, sagen die anderen aus seiner Klasse. Die Farbe des Sportzeugs ist für jede Schule einheitlich. Wer seins vergessen hat, muß in Unterwäsche mitmachen. «Sie haben doch auch bunte Sachen an», habe ich einmal zur Lehrerin gesagt und wurde rausgeschickt.
Der PVC-Belag im Umkleideraum hat das gleiche Parkettmuster wie in unserer Wohnung. Wehe, jemand trägt Ohrringe! Das kann Schlitzohren geben. Wenn einer die Zunge verschluckt, aus dem Hals ziehen und mit einer Sicherheitsnadel arretieren, bis Hilfe kommt. Das Hallenparkettist rutschig, man zieht die Schuhe aus und befeuchtet sich die Sohle mit Spucke, eine Wissenschaft. Beim 10-Runden-Lauf immer mit dem Rücken zur Kurve rennen, die Technik hat unser Lehrer erfunden. «Los, Irina, volle Kanne, zeig ihm, was ’ne Harke ist!»
Er
hätte sich das nicht gefallen lassen. Als im Studium einmal ein Mädchen schneller als er gelaufen war, da hätte er abends so lange alleine trainiert, bis er wieder schneller war als sie.
«Ihr Pupsmäuse», sagt er, und wenn er die Pfeife nicht schnell genug findet, steckt er zwei Finger in den Mund und zerschneidet die Luft mit einem Pfiff. «Ich mach gleich mit da hinten!» Unsere Nachbarschule, bei denen würden sie mit einem Tambourin im Takt einmarschieren, ob wir das vielleicht auch wollten? «Wegen mir könnt ihr das gerne haben.» Oder er nennt uns «meine Herrlichkeiten und Dämlichkeiten», was die Jungs natürlich amüsiert. «Eulenschießen» hätten sie als Studenten gespielt. Dabei wurde in der Kneipe gewettet, wer sich traute, die häßlichste im Raum anzusprechen.
Wir stellen uns zur «Gumminastik» auf, eine Armlänge Abstand zum Vorder- und Nebenmann. Das ganze immer wieder auf Zeit. «Arme in die Vorhalte» und Kniebeuge. Oder auf den Rücken legen und «Klappmesser». Zwischendurch Beine ausschütteln, darin bin ich gut. Wenn wir jetzt nicht Gymnastik machen würden, wäre es für immer zu spät. «Ihr habt alle einen Haltungsschaden.» Das komme vom krummen Sitzen in der Schule, und weil wir die Mappen inzwischen nicht mehr auf dem Rücken tragen. Erst benutzte man nur noch einen Riemen und hängte sie über eine Schulter, wodurch die Schulter schief wurde, dannwanderte sie in die Hand, und das Rückgrat wurde verbogen, und als nächstes werden wir uns einen Aktenkoffer besorgen und damit wie «zum Dienst» gehen.
«Orthogenes» Training, das ist eine moderne Methode, die sie bei uns ausprobieren. Der eine Boxer, der könne seine Muskeln auf diese Art so entspannen, daß er, wenn er mit dem Finger in seinen Bizeps piekse, bis zum Knochen durchdringe. Wir probieren es aus, das ist doch ganz einfach? Wir sollen uns auf den Boden legen und an nichts denken. Vor allem keinen Lachanfall bekommen. «Ich mach gleich mit!» Oder: «Du, du und du, ihr meldet euch nach der Stunde bei mir, und wir unterhalten uns mal.»
Die Läufer aus der BRD, ganz lässig schüttelten die sich die Beine aus, in ihren teuren Adidas-Hosen. Und dann ließen sie beim Staffellauf immer den Stab fallen, weil sie sich zu fein seien, die Übergabe zu üben. Kein Kollektivgeist, da kämpfe jeder nur für sich. Im Grunde freuten die sich, wenn einem aus der eigenen Mannschaft ein Mißgeschick passiere. Wir
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