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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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fühle mich heimisch in der Wildnis, weil wir ja regelmäßig im Wald spazieren, das habe ich den anderen voraus.
    «Wer weiß, was das hier für Bäume sind?» fragt Wulf.
    «Buchen?» antwortet Dennis.
    «Und was sind Buchen für Bäume?»
    «Laubbäume?»
    «Und wie nennt man dann diese Sorte Wald?»
    «Buchenwald?»
    Wir schrecken bei der Antwort richtig zusammen. Das Wort darf man doch nicht einfach so benutzen?
    Ich verstecke mich und warte, bis der letzte hinter der Biegung verschwindet und die Stimmen verklingen. Jetzt bin ich allein auf der Welt, keiner hat gemerkt, daß ich fehle.Es riecht ein bißchen nach Benzin hier. Wenn ich mir jetzt den Arm breche, muß ich ihn richten, indem ich ihn in eine Astgabel lege und mit einem Stein draufschlage. Der Baum, hinter dem ich stehe, die rauhe Rinde, ich sehe das von ganz nah. Es kommt mir bemerkenswert vor, daß ich diese Stelle jetzt betrachte und daß ich sie wohl nie wiedersehen werde, und auch niemand sonst. Vielleicht sollte ich wiederkommen, wenn ich älter bin? Wie werde ich dann über diesen Augenblick denken? Je länger ich warte, umso schneller muß ich rennen, um die anderen noch einzuholen, es ist aber so ein innerer Zwang, es auszureizen, bis die Verbindung vielleicht abreißt. Dann stürze ich den anderen in Todesangst hinterher.

10 Der Wald lichtet sich, wir kommen in ein Dorf, aus Brettern zusammengenagelte Holzbänke stehen am Wegrand. Ein kleiner Konsum, eigentlich nur eine Baracke mit einem Ladentisch. Für Geld muß man von den Erwachsenen bedient werden, auch wenn man ein Kind ist, dagegen können sie nichts machen. Das billigste, was es zu kaufen gibt, sind Streichhölzer, zehn Pfennig die Schachtel. Manche kaufen gleich eine 10er Packung, die in braunes Papier eingewickelt ist. Die Schachteln sind viel zu schade zum Wegwerfen. Mein Vater hat mir mal aus einer leeren Streichholzschachtel einen Computer gebaut, indem er auf die Rückseiten der Schublade «richtig» und «falsch» schrieb. Man rechnete eine Rechenaufgabe aus, und dann schob man die Schublade vom Computer heraus und bestätigte das Ergebnis. «Compjuter» hieß es, obwohl es sich «Computer» schrieb. Ich liebe es, diese kleinen Schubladen aufzuschieben und in die frischen Streichhölzer zu greifen, die darin aufgereiht liegen wie ineinem Bett, nie liegt eins falsch rum. Es ist so wahnsinnig praktisch, daß an jeder Schachtel Reibeflächen angebracht sind. Neuerdings sparen sie aber eine Fläche ein, weil wir keine Rohstoffe mehr haben. Deshalb sind jetzt auch die Deckel von den Summavit-Gläsern aus wieder eingeschmolzenen Plasteabfällen und sehen so gesprenkelt aus wie eine Kugel bunter Knetereste.
    Beim Weitergehen werden Streichhölzer geschnipst, die Finger riechen davon angenehm nach Silvester. Eike kennt einen Trick: «Opi kriegt ’n Steifen», dabei richtet sich ein brennendes Streichholz langsam auf, nachdem es Feuer gefangen hat. Manchmal opfert auch einer eine ganze Packung, um sie in Brand zu setzen, alle beugen sich herab, um das Schauspiel zu genießen. Leider ist das beste, das heftige Zischen und Aufflammen, immer so schnell vorbei. Mir läuft die Spucke im Mund zusammen, wenn ich Feuer sehe. Ich freue mich auf unser Lagerfeuer am letzten Abend, das so hoch sein wird wie ein Haus. Man drückt sich auf den Boden, wegen der Hitze, und robbt sich heran, um an einem langen Stock, den man sich in den Tagen davor im Wald gesucht hat, eine Kartoffel zu rösten. Obwohl die Sani-Tante das verboten hat, weil es unhygienisch sei.
    Auf einer Wiese stehen Kirschbäume, im Gras entdecken wir eine besonders lange Leiter, die beim Aufrichten in der Mitte durchbricht. Wir klettern in die Bäume und stopfen uns mit Kirschen voll, bis ein alter Mann erscheint, der wie Bertolt Brecht aussieht und uns beschimpft. Er trägt ausgeleierte, blaue Arbeitshosen, eine blaue Arbeitsjacke und eine Baskenmütze. Es ist Opa Schulze, der Antifaschist. Wir finden es lächerlich, wie er sich aufregt, der hat wohl«schlecht geschissen»? «Wie so ’n Zombie» kommt der uns vor. Wir verstehen ihn gar nicht richtig, weil er so undeutlich und verdreht spricht wie die Leute von hier. Der spielt sicher auch mit einem deutschen Blatt Skat. Es geht wohl um die Leiter, die wir ihm bezahlen sollen. Wulf versucht, ihn zu beruhigen.
    «Wenn der im Spanienkrieg war, kann der bestimmt Karate», sage ich.
    «Wieso war der denn im Spanienkrieg?» fragt Holger.
    «Der hat doch ’ne Baskenmütze, der ist

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