Schneckenmühle
ist traurig. Wenn mir ein Witz einfiele, mit dem ich alle noch mal wach bekomme? Oder die Stimme von Hans Moser nachmachen?
«Marko?»
«Watt is ’n?»
«Kennst du den Witz von den 1000 Tröpfchen?»
«Ej, du Spast, spuck mir nich an!»
Alle krümmen sich vor Lachen. Ich sinke ins Kissen und höre den anderen zu, während Bilder in meinem Kopf vorbeiziehen. Zombies, Ameisen, Eikes langgezogenes «Ding». Die Füße schlage ich in die Bettdecke ein, so fühle ich mich sicher. Mir fällt der Computer ein, und mich durchpulst ein so heftiges Glücksgefühl, daß ich einen lauten Tarzan-Schrei ausstoßen möchte. Den richtigen haben sie aus 30 Tierstimmen hergestellt, behaupten meine Brüder. In der «Trommel» war mal ein Bild vom gealterten Tarzan-Schauspieler im Rollstuhl, man hatte ihn vergessen, und er war im Elend gestorben, in Amerika hatten sie ihn nur ausgenutzt. Ich habe ein bißchen Heimweh, und darunter liegt eine Schicht Angst, daß meine Eltern sterben könnten. Ich gucke manchmal, wenn ich nach Hause komme, und niemand ist da, über den Balkonrand, ob meine Mutter unten liegt. Sie hat immer Migräne, und manchmal sagt sie, daß sie es kaum noch ausgehalten habe und am liebsten gesprungen wäre: «Nur wegen euch nicht.» Die Lagerdisko liegt mir auf der Seele. Vielleicht bin ich ja nicht der einzige, der nicht tanzt, Marko sieht auch nicht so aus, als könnte er das. Nur noch vier Jahre, hat er gesagt, und dann kommt die große Liebe, so, wie alles im Leben in der richtigen Reihenfolge und ganz von alleine passiert, man muß nur abwarten.
«Da war so ’n Paar, die hatten nachts im Wald ’ne Panne,und der Mann holt Hilfe, und denn klopft jemand an die Scheibe vom Auto, in dem die Frau wartet, und die dreht sich um und sieht ihrn Mann, aber ditt is nur der abjeschnittene Kopf von dem jewesen, mit dem da wer jegenwummert. Ej? Marko? Dennis? Wolfgang? Schlaft ihr schon? Wollten wir nicht durchmachen?»
9 Beim Malwettbewerb gibt es als ersten Preis eine Rolle Drops. Alle Jungen haben das Raumschiff «Enterpreis» gemalt, deshalb schmücken die Wände des Essensaals dutzende Raumschiffe. Dieser flache, runde Ameisenkopf und die langen Kufen, in denen welche arbeiten, die man in der Serie nie zu Gesicht bekommt. Vorne ist das Cockpit, von dort hat man den besten Blick auf das Weltall. Gesteuert wird von einem Sessel aus, mit allen nötigen Knöpfen in der Lehne, bequemer geht es gar nicht. Leider sieht man das Raumschiff in der Serie immer nur im Vorspann kurz vorbeigleiten, so schnell kann man sich die Konstruktion nicht merken. Es ist für uns das vollkommene Raumschiff, seine Form ergibt sich ganz logisch aus den Anforderungen, die sich an ein Raumschiff im Weltall stellen.
Mit der Suppen-Kelle wird für das Frühstück Vierfruchtmarmelade aus einer braunen Papptonne in quadratische Plasteschälchen gefüllt, jeder Tisch bekommt eins. Manchmal findet man ein größeres Stück Erdbeere. Den Tee holt man sich aus einem großen Kanister, der vorne einen Hahn hat. Wenn nichts mehr rauskommt, wird der Tee mit der Tasse direkt von oben geschöpft. Vor dem Tee warnen wir uns aber, der mache «impotent». Und wenn man schwarzen Tee viermal aufbrüht, werde man davon «high». Ich schmiere mir gerne die Butter aufs Brot, wenn sie genaurichtig weich ist. Seltsamerweise kaue ich immer mit den linken Zähnen, obwohl ich Rechtshänder bin. Oma Rakete hat manchmal den Rand von ihren Stullen abgeschnitten und mich essen lassen, weil sie ein Gebiß hatte und damit ich kräftige Zähne bekomme. Es war schön, etwas für sie tun zu können, und es fiel mir leicht.
«Drüben gibt’s Müllschnitten zum Frühstück», sagt Dennis.
«Kannste vajessen.»
«Kannste fragen!»
«Drüben scheißen die Studenten in die Uni, aus Protest.»
«Wegen der Bourgeoisie?»
«Der Sohn von der Schwester von einer Bekannten von meiner Mutter zieht immer Röcke an, aus Protest dagegen, daß das nur Frauen dürfen.»
«Ditt haste dir doch ausjedacht.»
«Ditt stümmt! Die wohnen in Hamburg oder Homburg. Der gibt auch allen immer nur die linke Hand, weil er sagt, das ist autoritär, wenn man vorgeschrieben bekommt, welche Hand gut und welche schlecht ist.»
«Was ist denn autoritär?»
«Ich glaube, wenn einer einem andern sagt, was er machen soll.»
«Versteh ich nicht.»
«Wollt ihr den Lieblingswitz von meinem Vater hören?» fragt Eike. «Dick und Doof brechen aus dem Gefängnis aus, man muß über 100 Mauern klettern. Nach
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