Schneckenmühle
Antifaschist.»
«Der ist besoffen, da liegt ’ne Flasche ‹Goldbrand› am Zaun, das ist der zweitbeste Braune», sagt Holger.
«Vom ‹Blauen Würger› kannste 100 Etiketten einsenden, denn kriegste ’n Blindenhund», sagt Dennis.
Ich kenne mich mit Schnaps noch nicht aus, auch wenn es in der Kaufhalle im Grunde das Regal mit der größten Vielfalt ist. «Brauner» ist wohl eine Alkoholgattung. Bei der Altstoffsammlung in der Schule bringen ja manche auch Schnapsflaschen von zuhause mit. Ich habe nie Schnapsflaschen, aber dafür gibt es kaum Geld, am meisten lohnen sich kleine Saftfläschchen und Gurkengläser. Es ist mir immer peinlich, die beiden schweren Netze, die sich schier unendlich ausdehnen lassen, unterwegs abzusetzen, weshalb ich dabei jedes Klirren zu vermeiden suche. Aus den oberen Etagen der Hochhäuser kann man bei uns ja das ganze Viertel sehen, ich möchte nicht, daß Irina denkt, daß ich keine Kraft habe. In der Hofpause helfen wir dem Altstoffmann immer, mit einem Schraubenzieher die Metallringe vom Flaschenhals zu entfernen. Wenn er nicht da ist, suchen wir in den Zeitschriftenbergen nach der «Gärtnerpost» und der «Armeerundschau», weil die immer eine «nackte Olle» abdrucken. Wir jagen uns mit den Resten aus den Spraydosendurch den Raum. Wofür man wohl «Intimspray» nimmt?
Ich merke mir, was bei uns der zweitbeste «Braune» ist, vielleicht werde ich noch rauskriegen, was der beste ist. Daß Holger so etwas weiß, ist mir unheimlich. Wer Schnaps trinkt, landet irgendwann im Gefängnis und anschließend als Hilfsarbeiter in der Flaschenannahme. Wir haben zuhause einen Kognac-Schrank, in dem die Flaschen einsam vor sich hin stauben. Meine Mutter sagt immer: «In unserer Familie kann man auch ohne Alkohol fröhlich sein.» Eine meiner Erfindungen ist, daß man eine Flasche Apfellikör offenstehen lassen könnte, bis der Alkohol verdunstet ist, dann hätte man Apfelsaft.
Es riecht streng nach LPG, also nach Mist, der in großen Haufen an den Dorfausgängen liegt, unter Planen, die mit alten Reifen beschwert sind. In Betonbecken schwimmt braune Gülle, wenn man da reinfällt, ob man sich dann noch irgendwie an der kahlen Wand festkrallen und hochziehen kann? Marko hat einmal einen Schweinefötus in so einem Becken schwimmen gesehen, behauptet er. Die jungen Männer, denen wir begegnen, tragen Armeejacken und Filzstiefel, manchen fehlen schon Zähne.
Am Wegrand steht ein Erntegerät, verrostete Metallfinger, die irgendwas mit der Erde anstellen, und ein Ledersitz mit einem Lenkrad. An so etwas kann man nicht vorbeigehen, ohne sich draufzusetzen. Ein kaputter Wartburg, sogar noch mit Tacho, der geht aber nicht abzumontieren. «Aufschließen da hinten!» ruft Wulf. Niemand kann uns etwas, wir sind ja nicht von hier, und außerdem sind Ferien. Man sucht ständig nach einer Idee, wie man möglichsteffektvoll «Scheiße bauen» kann. Am besten, einer von uns würde sein ganzes Geld verbrennen oder seine Sachen ins Klo werfen und nichts mehr anzuziehen haben. «Is der kaputt», würde man anerkennend sagen. Dann hätte man zuhause was zu erzählen. Wir singen, so laut wir können: «Daß wir Berliner sind, das weiß heut jedes Kind, wir reißen Bäume aus, wo keine sind!»
Die Basteltante ist mitgegangen. Sie hat keine Gruppe zu leiten und muß nicht für Disziplin sorgen, das macht sie so beliebt. Sie studiert Medizin. Sie erzählt von einem Pärchen, das beim Sex aneinander hängengeblieben sei, der Mann mußte die Frau mit der Schubkarre ins Krankenhaus bringen. «Votzenkrampf», sagt Holger kennerhaft. Daß sie mit uns so ein erwachsenes Thema bespricht, macht uns irgendwie stolz. Ich unterhalte mich mit ihr übers Westfernsehen, die besten Sketche aus «Versteckte Kamera». Osten gucke ich ja fast nie, weil da immer nur Männer in altmodischen, gestreiften Turnanzügen und mit angeklebten Schnurrbärten alle durcheinander auf einem Sprungbrett in die Höhe schnellen und in der Luft in albernen Verrenkungen erstarren. Es ist berauschend, mit einer Frau zu reden, die gar nicht zu bemerken scheint, daß man noch ein Kind ist. Hinterher kommt es mir vor, als gebe es zwischen uns eine Verbindung, weil wir so lange geredet haben. Als sei unser Verhältnis nicht mehr wie bei den anderen. Es ist mir ein bißchen peinlich, ihr jetzt im Lager wiederzubegegnen.
Dort, wo in Wulfs Karte der «Silberweg» eingezeichnet ist, führt tatsächlich ein Pfad über eine Koppel in den Wald. Das Tor ist
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