Schneckenmühle
jetroffen hätten?»
«Ditt jeht doch jar nicht.»
«Wenn die Russen keen Schnaps mehr haben, trinkense Benzin vonne Panzer.»
Man darf eigentlich nicht «Russen» sagen, das klingt so nach Nazi-Zeit.
«Die Russen haben bei Berlin ein Kloster in Kloster Lenin umbenannt.»
«Ej, wie Jens jestern jereihert hat!»
«Watt hab ick?»
«Jereihert.»
«Jereihert?»
«Jewürfelt.»
«Jewürfelt?»
«Mensch, jekotzt.»
«Ick hab nich jekotzt, ick konnte doch gar nich.»
«Ick kenn noch ’n Witz», sagt Dennis. «Honecker, Gorbatschow und Reagan …»
«Der heißt doch jetzt Bush.»
«Mit der Scheiße der?»
«Nee, der jeht anders.»
«Ach, wo die denn keen Fallschirm haben.»
«Laß ihn doch mal erzählen.»
«Lieber noch mal den mit ‹Tod durch Bongo Bongo›!»
«Oder mit dem Maiskolben: ‹Mmh, mit Butter!›»
«Ih, nee, der is so eklig.»
«Hing alles an einem Faden …»
Es riecht nach Zigarettenqualm, Holger hat sich in seinem Bett am Fenster hingesetzt und raucht. «Seid mal stille jetze!» Er raucht bedächtig weiter. Dann drückt er die Zigarette unterm Fensterbrett aus, genau am Ende einer Girlande von schwarzen Brandflecken.
Holger hat als erster einen Spitznamen bekommen, Marko hat ihn «Hiroshima» getauft, nachdem er einmal nicht zum Essen erschienen ist und niemand wußte, wo er steckte. Wulf hatte gesagt: «Holger kann doch nicht vom Erdboden verschluckt sein.» Holger wirkt immer so, als gehe er viel langsamer als wir, als bewege er seinen mächtigen Körper nur gnädigerweise in dieselbe Richtung. Die Beine stecken in engen Jeans, und die Fußspitzen schwingt er bei jedem Schritt nach innen. Ich fange auch schon an, so zu laufen, dagegen kann ich mich gar nicht wehren. Seine hellblauen Schuhe mit dünnen Sohlen sind vorne bei den Schnürsenkel-Ösen mit weißem Leder besetzt. Es sind Ringerschuhe, sie reichen über die Waden. «Einlaufschuhe» aus Leder gibt es ja nicht ohne weiteres, auch nicht im Sporthaus «Olympia» am S-Bahnhof Schönhauser Allee oder im «Haus für Sport und Freizeit» am Frankfurter Tor. Deshalb hatte er die Idee, Ringerschuhe zu benutzen. Zuhause werde ich möglichst noch in den Ferien zum «Haus für Sport und Freizeit» fahren und gucken, ob es die da gibt. Obwohl ich solche Vorhaben ja meistens vor mir herschiebe, wie meine Mutter das Beantworten ihrer Post. Im «Haus für Sport und Freizeit» streife ich gerne durch alle Etagen, um keine Neuigkeit im Angebot zu verpassen. Wenn ich in der Angelabteilung bin, freue ich mich auf die Campingabteilung, vorher gehe ich aber noch in die Fahrradabteilung. Von der obersten Etage kann man in der Mitte bis nach ganz unten sehen.Hinauf gelangt man über eine marmorne Wendeltreppe, wie im Jagdschloß Granitz. Es gibt so viele Dinge, für die man leider keine Verwendung hat, obwohl sie so praktisch aussehen und nicht mal viel kosten. Eine Campingkerze in Form einer Blechdose zum Zuschrauben. Oder ein Wurfdiskus, daß man so etwas kaufen kann! Daß es für jede Sache immer irgendeinen Betrieb im Land gibt, der sich darauf spezialisiert hat. Wie oft kaufen sich denn Diskuswerfer einen neuen Diskus? Ein Bumerang wäre ja eigentlich auch besser. Ich habe mir im «Haus für Sport und Freizeit» mal Schraubstollen für Töppen gekauft, die Verkäuferin füllte sie in eine braune Papiertüte wie Äpfel. Ich wollte sie irgendwie an meinen Stoffturnschuhen anbringen, vielleicht in die Gummisohle schrauben, wenn man sie innen mit aus Pappe ausgeschnittenen Einlagen verstärkte. Ich dachte, mit richtigen Töppen würde ich gleich viel besser spielen.
Gegen Holger komme ich mir zwergenhaft vor, aber das geht mir mit allen Größeren so, schon die aus der Zehnten sind wie Riesen, die uns zu ihren Füßen gar nicht bemerken. Ich habe einmal aus Versehen einem auf dem Schulhof einen Schneeball in den Rücken geworfen, auf die Lederjacke, er drehte sich um und knallte mir eine, mehr Zeit nahm er sich nicht für mich. Ich wäre auch gerne größer, man muß sich jeden Morgen strecken, um die Wirbel des Rückgrats noch ein paar Zentimeter auseinanderzuziehen, wie eine Perlenkette. Milch soll auch helfen, weil daraus Knochen werden, manchmal trinke ich deshalb an einem Tag zwei Liter und richte den Milchstrom dabei mit dem Strohhalm auf meine Schneidezähne, weil die an manchen Stellen so blaß und durchscheinend aussehen und Kalzium brauchen.
Immer weniger beteiligen sich am Gespräch. Manche sind vielleicht schon eingeschlafen. Es
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