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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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schoben die Diener den Damen mit einer langen Stange einen Nachttopf unter den Rock. Am Ende vom Sommer war das ganze Schloß vollgeschissen. Im Winter war es unbewohnt, weil man es nicht heizen konnte. Wie furchtbar das gewesen sein mußte, früher zu leben. Im Mittelalter, oder im Faschismus. Auf einen Haufen röchelnder Pestkranker geworfen werden. Mit einem Haken an der Achillessehne von einem Schlachtfeld gezerrt. Oder als Urmensch in einer Höhle das rohe Fleisch von einem Knochen nagen. In Afrika, daversteckten sich Skorpione im Sand, die einem unbemerkt unter der Hose das Bein hochkrabbelten. Bei uns gab es zum Glück keine Erdbeben und keine Vulkane, keine Wüsten und Lawinen, nur den Grünen Knollenblätterpilz und Kreuzottern. Ich habe allerdings Angst, daß die Ernte nicht gut ausfällt, davon ist immer in den Nachrichten die Rede, wir brauchen dringend Kartoffeln. Und die Kohle wird jedes Jahr knapper. Ich hoffe insgeheim, daß rechtzeitig neue Kohle entsteht, damit es wenigstens noch bis an mein Lebensende reicht. Ich hatte schon die Idee, ein Stück Holz zu vergraben, um daraus Kohle herzustellen.
    Die Eismaschine in der Gaststätte «Grüner Baum» in der «Straße des Friedens» ist das eigentliche Ziel unserer Wanderung. Softeis ist im Ferienlager verboten, sagt die Sani-Tante, niemand weiß, warum, wir dürfen nur Kugeleis essen. Es gibt leider nur zwei Sorten, Schoko und «Vanülje», selten auch mal «Frucht». «Waldmeister» gibt es ja leider nicht mehr, weil es krebserregend ist. Dennis sitzt auf einem Stein und schmollt. Er hat in der Drogerie Steckindianer entdeckt, aber Wulf weigert sich, ihm sein Geld auszuhändigen. Diese Steckindianer gebe es in ganz Berlin nicht, schimpft er, die suche er schon seit Jahren, dagegen könne man alle möglichen Sachen eintauschen, und er dürfe sie sich nicht kaufen. Das werde Wulf ihm büßen! Das war
sein
Geld, das
durfte
der gar nicht.
    Weil wir sowieso jeden Laden nach etwas Interessantem absuchen, und weil wir uns die Steckindianer ansehen wollen, gehen wir in die Drogerie, «Drohscherie» sprechen es manche aus. Im Schaufenster steht eine Pyramide aus runden, silbernen Ata-Packungen, wie die Büchsen beim Ballwerfen auf dem Rummel. Bei den meisten Sachen hierkann ich mir nicht vorstellen, daß sie jemals einer kauft. Ich finde es interessant, wieviele verschiedene Spül-, Putz- und Waschmittel-Sorten es gibt. Man weiß meistens gleich, daß es etwas in der Richtung ist, weil der Name schon so danach klingt: Ata, Imi, Sil, Laxyl, Pulax, Reuwa, Wok, Gemol, Milwa, Fewa, Fay und Swyt. Seltsamerweise gibt es auch Odol, obwohl dafür auch im Westfernsehen geworben wird. Im Westen gibt es sogar Ata, das nicht scheuert. Sie stellen ja auch weiße Schokolade her.
    Meine Schwester hat mir aufgetragen, immer überall nach schwarzer Textilfarbe zu fragen, die zuhause nirgends aufzutreiben ist. Sie will sich für den Winter eine Judo-Jacke umnähen und einfärben. Neben der Kasse stehen Papptönnchen mit Schmierseife. Der Preis ist aufgedruckt, die viele Seife kostet nur ein paar Pfennige, das ist fast noch günstiger als Streichhölzer. «Die gibt’s nicht mal in Berlin! Deine Mutter wird sich freuen!» versuchen wir, Peggy zum Kauf zu überreden.
    «Vergackeiern kann ich mich alleine.»
    «Nee, in echt, Peggy, wenn ich das Geld hätte, würde ich die nehmen. Die ist besser als aus ’m Shop», sagt Marko.
    «Und ich darf mir ja nicht mal meine Steckindianer kaufen», sagt Dennis.
    Sie tut es wirklich und schleppt ein Tönnchen Schmierseife aus dem Geschäft. Wir schütten uns aus vor Lachen, hat die das wirklich gemacht! Ist die kaputt!
    Vor dem Konsum steht eine Oma, mit der linken Hand, in der sie eine alte Handtasche aus Kunstleder hält, stützt sie sich gegen das Fensterbrett, mit der rechten schlägt sie einer Minischnapsflasche an der Betonkante den Hals ab und trinkt die Flasche aus.
    Weil die Türen weit offenstehen, sehen wir uns die Dorfkirche an. Man darf da einfach rein, das können die meisten gar nicht glauben. Die kühle Luft und das abgegriffene Holz der Bänke kommen mir vertraut vor. Es fühlt sich so an, als würde ich die anderen in unsere Wohnung lassen. Der Rückspiegel an der Orgel kann mich nicht mehr überraschen. Soll ich zugeben, daß ich christlich bin? Wäre das unvorsichtig? Die anderen bewegen sich voller Scheu, im Grunde ist ihnen der Ort heiliger als mir, sie kennen sich eben nicht aus. Sie scheinen Angst zu haben, die Götter

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