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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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seien die Busfahrer schon einfach ohne zu halten weitergefahren.
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12 Nach einer Woche holt uns Wulf aus dem Bungalow und bringt uns in den Waschraum. Steinerne Tröge dienen als Waschbecken. Früher sei das ein Kuhstall gewesen, erzählen wir uns. Wir seifen uns ein, jeder mit der Seife aus seiner Seifendose, ich opfere das kleine, kissenförmige Ei-Shampoo, das man nicht essen kann, obwohl es so aussieht und so riecht, ich habe aber mal daran geleckt, und es schmeckt wirklich nach Seife. Jeder hat eine Waschtasche, die hier «Kulturbeutel» genannt wird, eines der Objekte, die für Kinder fröhlicher gestaltet werden, wie Brillen-Etuis und Hosenträger. Ein weißer Waschlappen mit Marienkäfern für «oben rum» und ein buntkarierter für «unten rum», das war schon immer so. Wulf spritzt uns mit einem Wasserschlauch ab. Eigentlich ist es angenehm, wieder sauber zu sein, es ist uns nur nicht aufgefallen, wie dreckig wir gewesen sind. Eike ißt seine «Putzi», weil sie wie Erdbeerkaugummi schmeckt. Manche nehmen schon «Schlorodont». Meine Ajona-Zahnpasta wird bestaunt, von der muß man nur «einen linsengroßen Tropfen» nehmen, und es schäumt trotzdem. «Die hält schon zwei Jahre!» sage ich und zeige die zerknautschte Tube rum. Ich hätte gerne diese Tabletten aus der Werbung, mit denen man den Colgate-Test machen kann und seinen Zahnbelag sieht. Mein Reisezahnputzbecher läßt sich wie ein Piraten-Fernrohr ausziehen, im Boden ist sogar ein runder Spiegel angebracht, das spart doppelt Platz. So eine praktische Erfindung. Vielleicht wäre Erfinder ein guter Beruf für mich? Aber eigentlich gibt es ja schon alles. Man kann sich z.B. mühen, wie man will, vor dem Spiegel eine neue Fratze zu entwickeln, es kommt nichts Neues dabei heraus. Das Teleskop-Prinzip funktioniert auch bei Angelruten, bei Antennen, beim Staubsaugerrohr, bei Regenschirmen und bei den Füßen vom Kamerastativ. UnsereRussischlehrerin hat sogar einen Kugelschreiber, den man zu einem Zeigestock verlängern kann, die gibt es in der Sowjetunion. Im Grunde ist es das einzige Produkt, das ich mir von dort wünsche, aber mein russischer Brieffreund schickt mir leider keinen.
    Bei der Disko riecht der Essensaal noch nach der gelben Milchsuppe vom Mittag, die ich mir immer wieder nachhole. Anders als die Erzgebirger Bratwurst mit Kümmel, die die Küchenfrauen extra für uns organisiert hatten und die uns nicht bekommt. Ich habe mein Diskonicki an, mit dem aufgeplätteten Waschbären, und sitze mit ein paar anderen, die nicht tanzen wollen, am Rand. Wir spielen Skat, als Tisch dient uns ein Hocker. Wieder werden «Augen» gezählt. «59? Ganz schön knappe, Herr Zappe …» Wie oft man Kontra kontern kann? «Kontra, Re, Bock, Zippe»? Geht das noch weiter? Marko sagt: «Hoffentlich spielen die hier auch Depeche Mode.» Seltsam, vor ein paar Jahren habe ich auch schon hier gesessen, und ein Junge hat gesagt: «Hoffentlich spielen die hier auch Neue Deutsche Welle.» Ich hielt das damals für einen Radiosender. Am Grundig-Kassettenrekorder meines Vaters ist der rote Aufnahme-Knopf für mich lange tabu gewesen, nicht umsonst war er rot, eine Gefahr ging davon aus. Man durfte bei den Kassetten auch auf keinen Fall das braune Band berühren. Ich habe das einmal trotzdem gemacht und erwartet, daß der Himmel einstürzt. Die Städte auf der Skala: «Hilversum», wo ist denn das? Und steht in Hilversum da «Berlin»? Ganz oben auf der Skala, weit hinter dem letzten Sender, ist manchmal ein Piepsen zu hören, wie Morse-Zeichen. Ich habe schon versucht, mit einer Morse-Tabelle aus dem Pionier-Kalender die Botschaft zu entschlüsseln, wie aufregend, wenn ein Schiff in Seenotwäre! Ich habe an dem Abend sogar Nachrichten geguckt, aber es kam nichts über ein gesunkenes Schiff.
    Als ich noch zu den Kleinen gehörte, haben wir zwischen den Liedern als «kulturvolle Einlage» alle um die Wette Luftballons zertreten dürfen. Bevor wir ins Bett mußten, haben wir eine letzte Polonaise um die langhaarigen Großen getanzt, die bei der langsamen Runde engumschlungen in der Mitte auf der Stelle traten, bunte Stielkämme aus Plaste in der Gesäßtasche. Die Mädchen guckten immer so traurig über die Schulter des Jungen hinweg, vielleicht, weil ihnen einer der anderen besser gefiel. Manche küßten sich auch, aber so, als spielten sie, wer es schaffte, die Zunge vom anderen zurück in seinen Mund zu drücken.
    «
Laß mein Knie, Joe,

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