Schneckle im Elchtest
noch todkrank gelitten hatte, warf mich dabei von der Sessellehne und zerrte sich dann in Rekordzeit sein T-Shirt über den Kopf.
»Äh, Steve?«, fragte ich irritiert und rappelte mich vom Boden auf. »Ich meinte, bereit für ein nettes kleines Gespräch.«
»Gespräch?«, fragte der halbnackte Kerl verdutzt. »Worüber denn?«
Sein Hirn schien ein schwarzes Loch zu sein. Immerhin war es keine sechs Stunden her, dass ich im Familien-Schimmelbad einen Heulkrampf bekommen hatte.
»Naja, über einige, sagen wir mal, offene Fragen. Vielleicht könntest du mir ein paar Dinge erklären, damit ich mit deiner Familie besser zurechtkomme.«
»Och nö«, brummte er bedauernd, zog sich sein T-Shirt wieder über den Kopf und ließ sich mit trotzigem Gesichtsausdruck und verschränkten Armen zurück in den Sessel fallen.
Die Mitleidstour war wirklich herzzerreißend. Deshalb setzte ich mich auf seinen Schoß und knabberte ein bisschen an seinem Ohr. Schlagartig verbesserte sich seine Laune wieder.
»Also«, raunte ich in sein Ohr, »willst du mir nicht von deiner tollen Bar auf Mallorca erzählen? Du bist ja schon ein, äh, toller Hengst – im Ausland eine eigene Bar zu eröffnen! Und, sag mal, dein Bruder – der hat ja eine ganz besondere Ausstrahlung. Muss er ja auch haben als Nachrichtensprecher, oder? Und, was ja auch sehr spannend ist, wie ist das denn mit der Galerie deiner Mutter? Das ist doch wahnsinnig anspruchsvoll, der ganze Umgang mit Künstlern ...«
»Das kannst du laut sagen«, schnaubte Steve wieder sehr wortökonomisch.
Statt etwas ausführlicher zu antworten, fummelte er lieber ausführlich an meinem T-Shirt herum.
Ich schob seine Hand weg. »Ja, vielleicht waren das zu viele Fragen. Sag doch mal, ich bin furchtbar neugierig, was war denn mit Mallorca?«
Er verzog stöhnend das Gesicht. »Das ist doch Vergangenheit, Sabine. Du liebst mich doch heute, nicht wahr? Was bringt es schon, wenn ich dir erzähle, welche Promis ich ständig um mich hatte? Ich will dich ja nicht einschüchtern ...«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht. Aber warum hattest du Ärger mit der Polizei?«
»Das war eine ganz dumme Geschichte, in die nicht nur, äh, Boris Becker, sondern auch Peter Maffay, Goldie Hawn und hm, Kurt Russell verwickelt waren«, erklärte Steve. »Ich habe ihnen bei einem, ähm, Golfturnier geholfen – und bin dabei eben ins Visier der Polizei geraten. Völlig unschuldig natürlich. Ich glaube, mein Magen ...«
Mist. Ich musste die Mallorca-Geschichte wohl auf andere Weise herausbekommen. Auf keinen Fall hatte ich Lust, einen Ex-Knacki zu ehelichen. Zumindest war er ein bemerkenswert schlechter Lügner. Das war doch schon mal positiv – ich wusste immer gleich, wenn er flunkerte.
Am besten, ich testete sein Lügenpotenzial gleich noch einmal: »Sag mal, Steve, wieso arbeiten Udo und Joe eigentlich nicht zusammen? Die sind doch beide bei der ARD?«, fragte ich mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Ja, aber bei völlig verschiedenen, äh, Ressorts. Mein Magen ...«
Da! Gelogen! Beim ersten Mal hatte er mir erzählt, sein Bruder sei beim SWR, das wusste ich noch ganz genau. Ganz abgesehen davon wusste ich schon von Kurt, dass Joe in die Fußstapfen von Harald Glööckler trat.
Doch ich war auf der richtigen Spur. Immer wenn Steve log, log er nicht nur schlecht, sondern fuhr auch noch mit der Zunge an seinem abgebrochenen Zahn entlang.
Das wollte ich gleich noch einmal sehen: »Steve, wie kommst du überhaupt auf die Idee, mein Vater wäre ein Bauunternehmer?«
»Mir ist schlecht«, war alles, was ihm dazu einfiel. Er wuchtete sich stöhnend und inzwischen tatsächlich reichlich grün um die Nase aus seinem Sessel.
»Halt! Sag mir wenigstens, wer der Kerl ist, der sich hier immer herumdrückt und den außer mir anscheinend niemand sehen kann«, rief ich ihm noch hinterher.
Doch Steve war in gekrümmter Haltung bereits um die Ecke verschwunden. Und ich war so schlau wie vor unserem völlig überflüssigen Gespräch. Leise vor mich hinschimpfend schlich ich mich zurück in die nach der verhängnisvollen Fischsuppe stinkende Küche und machte es mir in der Küchenbank so bequem wie möglich.
Hoffentlich brachte der nächste Tag weniger Lügen, besseres Wetter und jede Menge Geistesblitze, wie ich die Zeit bis zur großen Fete überleben sollte.
Nach einer von den vielen Rauchern wieder komplett zerpflückten Nacht schleppte ich mich am nächsten Morgen wie verabredet und reichlich
Weitere Kostenlose Bücher