Schneckle im Elchtest
Finger: »Dein ganzes Verhalten: Du hast ein loses Mundwerk und bei deinen schlecht bezahlten Jobs ein so selbstsicheres Auftreten, wie es nur die Gewissheit vermittelt, dass Geld keine Rolle spielt.« Er hatte kein Einsehen und streckte jetzt auch noch den Daumen der linken Hand in die Luft: »In deinem Schrank hängt neben den ganzen zerrissenen Jeans auch ein Chanel-Kostüm ...«
Ich unterbrach mit einer Handbewegung die Fingerchen-Parade. Von dem Schwachsinn hatte ich genug. Ganz offensichtlich hatte er vom ersten Tag an nichts anderes getan, als mich rauf und runter gegoogelt und ausspioniert. Warum sollte ich ihm jetzt noch den Begriff der Ironie erklären? Wozu ihm sagen, dass das Chanel-Kostüm meinem schwulen Freund MO gehört hatte, dem es leider nicht mehr passte? Vor mir stand dieses winselnde Häuflein Mann und wollte sooo gern die reiche Erbin eines Stuttgarter Millionärs heiraten!
Ich überlegte; schließlich breitete sich ein böses Grinsen auf meinem Gesicht aus, das einmal um den Äquator gereicht hätte.
»Du hast recht, Steve«, raunte ich ihm verschwörerisch zu. »Du und nur du hast es herausgefunden: Ich bin die Erbin von SchneckBau.« Ich tätschelte ihm anerkennend die Schulter. Dann beugte ich mich mit konspirativer Miene zu ihm. »Und mein Bruder, der nach Südamerika auswandern will, verkauft jetzt seine Baumarktkette, will das Geld aber nicht mitnehmen. Was sagst du dazu? Er will als Hippie ganz von vorne anfangen und hat mich gebeten, die Millionen zu verpulvern.«
Steve schluckte, seine Augen quollen fast aus den Höhlen. Ich klopfte ihm noch einmal gönnerhaft auf die Schulter.
»Ja, der Mann, der mich einmal heiratet, der hat es gut. Er wird in seinem ganzen Leben nie mehr arbeiten müssen, in einer riesigen Villa auf dem Killesberg wohnen und versuchen, irgendwie das viele, viele Geld loszuwerden, das sich auf der Bank ganz von alleine vermehrt.«
Jetzt bestand der ganze Kerl eigentlich nur noch aus Augen.
Ich zuckte mit den Schultern: »Wie schade, dass du mit diesem kleinen Flittchen alles kaputt gemacht hast, du Schwein. Ich wollte nächste Woche mit dir nach Monaco ins Casino fliegen und ein paar Millionen loswerden. Aber so ... Tja, Steve, mach’s gut.« Ich klopfte ihm ein letztes Mal auf die Schulter, drehte mich um und stolzierte davon.
Nina und Silke fielen mir ein. Dieses Mal hatte ich den Abgang
nicht
versaut.
In der Küche warf ich alle meine Sachen auf einen Haufen und stopfte sie zum Rest in meinen klapprigen Trolley. Im Flur stieg ich über Hartmut, der seinen Rausch ausschlief. Ich war froh, dass er zu blau für eine schleimintensive Verabschiedung war. Von Kurt und Kerstin hätte ich mich gern verabschiedet. Aber ich konnte sicher problemlos deren Adressen herausfinden und ihnen eine Nachricht schicken. Immerhin war ich mir sicher, dass sie endlos viel Verständnis für mich haben würden. Und Kurt würde auf mein Wohl eine Flasche Hochprozentigen öffnen. Schließlich hatten er und Kerstin mir mehr als gut zugeredet, dieser Familie schleunigst den Rücken zu kehren.
Ich dachte nach, während ich meine Klamotten so gut es ging in den Trolley stopfte. Eigentlich hätte ich mir jetzt das Taxi schnappen und davonbrausen sollen. So jedenfalls hätte es Steve gemacht. Aber ich war nicht Steve. Zum Glück. Ich hatte ein vollständiges und sehr gepflegtes Gebiss. Und Charakter. Mein neues Leben ohne Blender, Lügner, Bauernfänger wollte ich erhobenen Hauptes und mit einem zufriedenen Blick in den Spiegel beginnen. Ich würde zur Märtyrerin der schwedischen Landstraße werden!
Nina und Silke fielen mir ein, die an der Stelle sicher wieder mit den Köpfen gegen irgendwelche Tischkanten hämmern würden. Allein dafür war es die nasse Sache wert.
Ich seufzte und stellte mich innerlich darauf ein, dass ich eine ganze Zeitlang Regen schlucken würde. Hoffentlich stimmte die Geschichte, dass man davon einen wunderbaren Teint bekam.
Gerade wollte ich zur Tür hinausstapfen, da versaute mir Steve den wunderschönen, filmreifen Abflug. Er verstellte mit ausgebreiteten Armen den Ausgang und versuchte völlig würdelos die Schneck-Millionen zu retten.
»Sabine, denk doch an die wunderbare Zeit, die wir hatten. Wie viel wir gelacht haben ...«
Was er sagte, erreichte mich nicht mehr. Nein, er war es nicht einmal mehr wert, dass ich mich über ihn ärgerte.
»Jetzt mach doch mal Platz«, blaffte ich.
Er ließ mich nicht durch. Wert oder nicht – jetzt ärgerte ich
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