Schneckle im Elchtest
auserwählte Volk. Richtig?«
»Richtig. Endlich hast du’s kapiert«, nickte ich zufrieden.
»Warum wandern dann so viele von euch aus?«, setzte er nach. »Berlin zum Beispiel, da findet man ohne Schwäbischkenntnisse inzwischen nicht mal mehr den Alex.«
Ich nickte. »Ja, sicher. Silke, Nina und ich haben schließlich auch in München studiert. Das ist geradezu lächerlich einfach zu erklären: Hier greift wieder das Prinzip des ersten Blicks – vor allem beim adoleszenten Schwaben. Das alte Stuttgart war für unsere Generation oberflächlich betrachtet einfach nicht sehr sexy. Solide, sauber, superbürgerlich, ja. Aber Kehrwisch und Understatement sind nichts für Heranwachsende. Die wollen es krachen lassen und deshalb lassen sie gerne in der Ferne die Sau raus. In Berlin, Frankfurt, München … Aber, was soll ich sagen? Irgendwann hat sich die Sau ausgetobt und will wieder heim in die ureigene Schweinerei. Weil’s dahoim doch am schenschda isch. Sind wir doch mal ehrlich: Politisch, wirtschaftlich und kulturell gesehen sind wir Schwaben die erklärten Champions. Und außerdem ist es doch sehr entspannend, wenn einen endlich einmal wieder alle Leute ohne stundenlange Erklärungen verstehen – vor allem unseren sehr komplexen, feinsinnigen und hintergründigen Humor, der ist nun mal nichts für schlichte Gemüter. Jetzt weißt du, warum früher oder später die meisten wiederkommen …«
»… wie Lachse.«
»So ungefähr. Auch wenn wir mit Fisch nicht so viel am Hut haben. Höchstens bei Feschdle mit Heringsbrötle … Also, wir fassen zusammen: Schwaben-Understatement ist für unter Dreißigjährige ätzend. Es kommt erst bei Erwachsenen zum Tragen. Und dann, was soll ich sagen, dann ist es sexy. Sogar sehr.«
»Endlich mal ein wahres Wort«, brummte Volker und zog mich an sich.
Zufälligerweise standen wir gerade an der Ampel, an der ich vor Urzeiten ein sich küssendes Pärchen gesehen hatte.
»Wenn du mich jetzt küsst …«, begann ich meinen Satz.
»Dann?«, brummte Volker.
»Dann küsse ich zurück«, murmelte ich.
Und während meine Beine dahinschmolzen wie die Eislaufbahn auf dem Schlossplatz im Oktober, kam wieder Fabrizios Stehgeiger zum Einsatz …
Nun war es amtlich: Ich war verliebt. In einen armen, baumlangen und fremdguckenden Fischkopf, der auf Pilze stand. Was sollte ich jetzt bloß tun? Das passte mir ganz und gar nicht in den Kram. Schließlich war ich für morgen mit Jochen und eventuell mit meiner großen Karriere als investigativer Redakteurin verabredet. Sabine Schneck – ganz oben, sozusagen.
Am besten, ich entliebte mich ganz schnell wieder. Aber erst morgen.
»Na, wie war dein Gespräch mit diesem Schreiberling?«, wollte Volker am nächsten Abend von mir wissen.
»Toll!«
Ich grinste über alle vier Backen und musste über Jochens dummes Gesicht nach meiner erstklassigen Abfuhr kichern. Anscheinend war in seiner Redaktion in der Tat der Notstand ausgebrochen. Denn trotz glasklarer Affärenabsage hatte er für mich ein Vorstellungsgespräch für morgen Vormittag im Gepäck. Die Besetzungscouch blieb kalt, meine Karrierechancen heiß.
»Na, dann sind wir ja ein echtes Erfolgspärchen«, strahlte mein Blauauge.
Ich seufzte. Er war hinreißend. Zu hinreißend. Dummerweise hatte sich in letzter Zeit in meinem Seelen- und Beziehungsleben zu viel Müll angehäuft. Es war Zeit für eine Pause. Das Timing stimmte bei Volker und mir einfach nicht. Schade eigentlich. Extrem schade. Aber es half ja nichts.
Deshalb fragte ich jetzt betont beiläufig: »Und? Wie möchtest du den Abend verbringen?«
Da rückte er mir schon wieder auf die Pelle. Ich schob ihn widerwillig ein paar Zentimeter von mir weg.
»Das meinte ich nicht. Ich dachte, du möchtest vielleicht ins Kino? Wir haben ein ganz großartiges Programmkino …«
»Wo sie kryptische Filme ohne Handlung und mit endlosen Monologen gescheiterter Existenzen zeigen? Och nö. Wenn du schon ins Kino willst: Ich habe gesehen, dass nur die Straße runter um die Ecke ein Riesenkino steht! Wie wär’s mit irgendwas mit mächtig Wumms, Krach und Peng? Vielleicht in 3D?«
»Das ist nicht dein Ernst«, quakte ich kläglich. »Du stehst auf Hollywood-Trash?«
»Natürlich!« Volker zuckte ratlos mit den Schultern. »Wer nicht?«
»Ich zum Beispiel. Und so ziemlich jeder, den ich kenne«, gab ich indigniert zurück.
»Und wieso sind dann sämtliche Vorstellungen in euren Kinopalästen ausverkauft?«, wollte er
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