Schneckle im Elchtest
der Mensa und die Möglichkeit, einen Studienabschluss ihrer Wahl zu erwerben.« Er schnaubte. »Man stelle sich das Szenarium vor: Kohorten, Legionen und Manipel Obdachloser, die den faulen Studierenden das Futter vor der Nase wegvespern, im Winter die Hörsäle als Schlafplätze belegen und sämtliche zur Verfügung stehenden Studienplätze für sich beanspruchen …«
»Oh je.« Nun schaute Volker mich nicht mehr ganz so begeistert an.
Ich brabbelte etwas von »guter Ansatz« und »fieser Verräter« vor mich hin.
»Aber wie seid ihr denn dann Freunde geworden?«, hakte Volker nach.
MO lächelte fein. »Ich bin der verwirrten Kreatur ein paar Tage später in der Mensa über den Weg gelaufen. Zuerst wollte sie mit hochrotem Kopf fliehen. Aber dann habe ich sie gestellt und zwangsrekrutiert.« Sehr zufrieden lehnte er sich zurück.
»Aha. Und wofür?«, wollte Volker neugierig wissen.
»Ach, nicht der Rede wert«, winkte MO ab.
»Aber doch«, widersprach dieses Mal ich. »Er hatte eine superschwere Tasche dabei und hat mich dazu verdonnert, sie zu tragen – auf seinem Rundkurs bei sämtlichen Obdachlosen in der näheren Umgebung vorbei. Stell dir mal vor: Alle paar Tage spazierte er bei ihnen entlang. Mit jeder Menge Hundefutter, pfundweise 10-Cent-Stücken, Würstchen, Obst, dicken Socken ... Stell dir mal vor: Sie haben ihn den Nikolaus genannt!« Ich schluckte. »Und da platze ich dumme Pute in sein Tutorium und rede dumm von den Rechten der Obdachlosen. Während er schon lange nicht mehr nur redet, sondern einfach etwas tut.« Ich schenkte meinem Freund, der interessiert seine fein manikürten Fingernägel betrachtete, einen glücklichen Blick.
»Und beim Verteilen dieser Dinge an die Obdachlosen habt ihr dann festgestellt, dass ihr beide aus Stuttgart kommt, und euch angefreundet«, resümierte Volker.
»Blödsinn«, winkte MO ab. »Das Einzige, was uns damals verbunden hat, waren unsere Stuttgarter Wurzeln. Aber Sabine hatte ständig einen superscharfen, unglaublich sexy melancholisch dreinschauenden kleinen Litauer im Schlepptau, keine Ahnung, wo sie den aufgegabelt hat ...«
»Yngve war Norweger und aufgegabelt habe ich den grässlichen Langweiler bei einer Philosophenparty ...«, warf ich ein.
»Ist mir doch egal. Auf jeden Fall war der so was von süß, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Seit Wochen schon hatte ich versucht, seine Bekanntschaft zu machen. Und mit dieser schlecht frisierten Hippiebraut hatte ich endlich die Gelegenheit dazu.« MO betrachtete mich naserümpfend.
»Und, hat’s geklappt?«, fragte Volker skeptisch.
Ich lachte. »Yngve ist eine Monsterhete ohne jeden Funken Humor im Leib. Keine Chance für MO!«
»Aha. Monsterwas?« Jetzt war Volker völlig verwirrt.
»Hete. Monsterhete«, erklärte MO augenrollend. »Falsch gepolt, der kleine Melancholiker. Leider.« Er seufzte tief.
Das erforderte diesmal keine Nachfrage. Entspannt blickten wir auf den See.
»Schaut mal, Glühwürmchen!«, rief Volker auf einmal erstaunt aus und betrachtete begeistert die langsam vorbeisurrenden Leuchtkäfer, die sich um uns herum breitmachten.
»Wie süß er ist«, flüsterte MO mir zu. »Wenn du ihn nicht mehr willst, kriege ich ihn dann?«
»Das musst du mit ihm selber ausmachen. Aber vorher würde ich ihn doch ganz gerne noch eine Weile behalten«, flüsterte ich voll Besitzerstolz zurück.
»Oh oh«, stöhnte MO. »Dich hat’s voll erwischt, nicht wahr?«
»Nur kein Neid«, strahlte ich zurück. »Apropos erwischt: Was ist eigentlich aus deinem Automechaniker geworden?«
»Nichts.« MO zog einen Flunsch. »Es ist wirklich ein Kreuz. Die richtig schönen Männer sind alle Heteros.«
Ich warf einen Blick auf meinen Fischkopf. »Bisher hätte ich dir heftigst widersprochen. Aber jetzt ... Du scheinst tatsächlich recht zu haben.«
»Und ich hab so gerne recht«, erklärte er. »Wie soll’s mit euch beiden jetzt weitergehen? Lübeck ist ja nicht gerade um die Ecke.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich werde ihn wohl wieder in die Freiheit entlassen. Zwangsläufig. Eigentlich habe ich nämlich überhaupt keine Zeit für so ein ernsthaftes Beziehungsding. Und auch keinen Nerv dafür. Ich darf nämlich demnächst bei den Herren und Damen der seriösen Presse mitspielen. Da habe ich keine Zeit für Kitsch.«
»Du bist grässlich«, erklärte er säuerlich.
Eine Stunde später fuhr ich mit dem nach wie vor verdächtig schweigsamen Volker zurück in die
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