Schneckle im Elchtest
muss mit dir schimpfen: Du hattest mir mit keinem Wort verraten, wie überaus gutaussehend das Nordlicht ist, das dich aus dieser misslichen Lage befreit hat.« Er strahlte den komplett verwirrten Volker begeistert an. »Da hält dieses grässlich frisierte Geschöpf«, er warf mir einen missbilligenden Blick zu, »es für nötig, den Elchtest im Selbstversuch nachzustellen – und wird bei seinem missglückten Manöver doch tatsächlich von einem Traummann gerettet! Nein, wirklich, Sabine. So viel Glück hast du gar nicht verdient!« Er drohte mir mit einem fein manikürten Zeigefinger.
Volker war verstummt.
Wieder drückte MO ihn an sein Herz. »Ach, Schätzchen. Die Sprachlosen sind mir die Liebsten. Was ist, meine Beste«, wandte er sich wieder an mich. »Wollen wir heute gar nicht loslegen? Ich bin gerade so schön warm.«
Ich erklärte: »Ja, lass uns laufen. Volker hat leider keine Sportklamotten mit. Du kommst uns einfach hinterher, ja? Immer den Weg lang. Wir treffen uns am Bärenschlössle, du kannst es nicht verfehlen. Komm, MO!«
Ich trabte so luftig locker und doch muskelbetont los, wie ich es bei anderen Sportskanonen abgeschaut hatte. MO kam hinterher.
Zwei Biegungen weiter vorne keuchte MO ächzend: »Stopp! Wir sind weit genug gerannt. Jetzt sieht uns dein Fischkopf sicher nicht mehr aufgeben.«
»Super«, keuchte ich, blieb erst mal stehen und ließ meinen Kopf zwischen meine Beine nach unten hängen. »Sport ist Mord.«
»Wem sagst du das, meine Liebe. Aber was tut man nicht alles für einen makellosen Körper?«, meinte MO schnaufend.
»Naja, rennen auf jeden Fall nicht«, ächzte ich.
»Immerhin jagen wir jede Woche einmal unseren Puls hoch und laufen zwei Stunden kreuz und quer durch den Wald. So schlecht ist das doch gar nicht!«, wandte MO ein.
Eine halbe Stunde später stand ich mit Volker am Ausschank des Bärenschlössles und durfte mir einiges anhören.
»Das hättest du mir auch sagen können«, zischte er mir ins Ohr, während MO von zwei seiner zufällig auch anwesenden Studenten in ein Gespräch verwickelt wurde.
»Wieso, was denn?«, fragte ich unschuldig zurück.
»Na, dass er … schwul ist. Und so was von!«, empörte er sich.
»Wieso ist das wichtig?«, wollte ich wissen.
»Weil ich dachte … ach, egal!«
Beleidigt bestellte er drei Radler, mit denen wir zu den Stufen unterhalb des Bärenschlössles zogen. Dort schlürfte Volker auffallend still an seinem Getränk und warf nur hin und wieder einen merkwürdigen Blick auf MO.
Schließlich räusperte er sich und fragte: »Woher kennt ihr euch eigentlich?«
»Och nö«, stöhnte ich. »Nicht die olle Kamelle.«
»Aber warum denn nicht?« MO hatte sich von seinen Studenten verabschiedet und war wieder zu uns gestoßen. Verschwörerisch beugte er sich zu Volker hinüber. »Du musst wissen, dass ich während meiner Promotion an der Münchner Uni ein Tutorium mit dem Themenbereich Morphologie und Lexikologie geleitet habe. Und dieses Tutorium hat Sabine gesprengt. Es war köstlich.« Er strahlte mich an.
»Ja, super. Und jetzt Themenwechsel«, forderte ich mit hochrotem Kopf.
»Aber nein«, freute sich MO. »Du musst dir das so vorstellen, Volker: Da kam also dieses traurige Häuflein verwirrter Kreaturen anspaziert, allesamt bedauernswert ungewaschen, ungepflegt und ungebildet. Diese Dame hier – damals mit einer rabenschwarzen Haartracht bis zum Allerwertesten hinunter gesegnet, von Kopf bis Fuß in Samtgewänder gekleidet und mit allerhand anachronistischen Flohmarkt-Symbolen einer längst verblichenen Hippie-Generation behängt – hielt doch tatsächlich ein Schild in der Hand, auf der in roten Lettern ›Streik‹ stand. Köstlich, ganz köstlich.«
»MO!«, bettelte ich, doch er hatte kein Einsehen.
»Auf jeden Fall«, fuhr er fort, »begann dann ihre dubiose Begleitung, ein ewiggestriges linkes Grüppchen von Totalversagern, das tatsächlich die Frechheit besaß, sich Fachschaft zu nennen, uns die Gründe für das rüde Unterbrechen unserer geistigen Höhenflüge darzulegen. Stell dir vor: Sie bestanden doch tatsächlich auf der Einrichtung eines separaten Schutzraumes für Obdachlose auf dem Unigelände.«
»Aber das ist doch sehr ehrenhaft«, warf Volker ein und mir einen warmen Blick zu.
Ich lächelte dankbar zurück.
»Naja, im Grund schon. Doch sie forderten dazu auch noch, sämtlichen Obdachlosen jederzeit freien Zugang zu sämtlichen Bibliotheken zu gewähren. Dazu noch kostenlose Verpflegung in
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