Schnee an der Riviera
Männer. Beide spielten in ihrem Leben eine wichtige Rolle, wenn auch aus vollkommen unterschiedlichen Gründen, und sie zusammen zu sehen, war allemal interessant. Wie würden sie wohl reagieren? Sie waren so verschieden, äußerlich und auch charakterlich, und doch hatten sie einiges gemein.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Capitano«, erwiderte Gerolamo und deutete eine Verbeugung an.
Ihr Assistent konnte manchmal etwas merkwürdig Steifes und Antiquiertes entwickeln, wenn ihm eine Situation nicht behagte, doch dieses Mal nahm er die Brille ab, sah seinem Gegenüber direkt in die Augen und lächelte breit.
»Können wir Ihnen einen Kaffee anbieten, Assistente Privitera?«
Gerolamo ernährte sich von Kaffee. So ein Angebot konnte er unmöglich ausschlagen. Zehn Minuten später schlürften er und Carlo ihren Kaffee (pechschwarz für Gerolamo, mit einem Schuss Milch für Carlo) und plauderten miteinander, oder besser gesagt, Carlo redete wie ein Wasserfall und Gerolamo flocht einzelne Wörter oder Halbsätze ein, als wären sie alte Bekannte. Nelly war verblüfft.
»Carlo möchte uns auf unsere Landpartie begleiten, Gerolamo. Und da es sich um einen eher informellen Besuch handelt, denke ich, wir können ihn ruhig mitnehmen.«
Die Kommissarin sah ihren Assistenten forschend an, um auch den geringsten Anflug von Unmut bei dieser Nachricht nicht zu übersehen, doch er antwortete nur aufrichtig, dass er nichts dagegen habe. Grünes Licht, also. Die drei machten sich auf den Weg.
Es war ungefähr zehn Uhr an einem sonnendurchfluteten Samstagvormittag, und die paar armen Seelen, die noch in der Stadt unterwegs waren, konnten den Nachmittag kaum erwarten, um gen Riviera auszuschwärmen, in die umliegenden Täler des Hinterlandes oder ins südliche Piemont. Nelly und ihre Begleiter erreichten in wenigen Minuten die Tiefgarage, wo sie unter der Woche ihren alten, weinroten Fiat Punto parkte. Sie verzichteten zu diesem Anlass auf den Dienstwagen, um den privaten Charakter des Ausflugs zu unterstreichen. Niemand redete. Dann, während sie zügig auf der Staatsstraße, die von Genua über den Apennin nach Piacenza führte, Richtung Val Bisagno fuhren, unterrichtete Nelly Gerolamo über die Ereignisse der letzten Nacht. Über Maurizios freiwilliges Verschwinden, um nicht zu sagen seine Flucht, über die Falle, die er Veronica gestellt hatte. Mit Monica als Komplizin, höchstwahrscheinlich.
»Wenn wir nicht auf konkrete Hinweise stoßen, die meinen Sohn entlasten, und ihn nicht schnellstens finden, glaube ich nicht, dass ich die Ermittlungen weiterführen kann. Ich habe schon Zeit gewonnen, indem ich Veronica gesagt habe, sie soll ihren Bericht erst Montag früh abliefern, aber das wird nicht viel nützen. Wenn wir nicht bald irgendetwas in der Hand haben, geht der Fall an Carmine Lojacono, oder Esposito wird einfach selbst die Leitung übernehmen. Spätestens Montag muss ich ihn über die aktuelle Lage informieren. Ich kann Veronicas Verständnis nicht länger strapazieren. Oder deines.«
»Meines?«, fragte Gerolamo verwundert. »Ich weiß von nichts, Commissario. Ich weiß nur, dass die Carabinieri dort das Haus von dem Foto als das eines gewissen Caprile, Giovanni identifiziert haben, ledig, wohnhaft in einem winzigen Flecken der Gemeinde Lumarzo, Hausmeister am Paul-Klee-Gymnasium. Und dass wir bei ihm in der Gegend einen Spaziergang machen, weil das Wetter so schön ist.«
»Und dass Caprile die Schüler immer zu sich nach Hause einlud ... Aber was heißt das letztlich schon? Vielleicht haben die Jugendlichen einen Sonntagsausflug zu Gian gemacht, eventuell mit anderen Klassenkameraden, völlig harmlos, nur dass Mau mir eben nie etwas davon erzählt hat.«
In einem Anfall von Schuldgefühlen, gepaart mit Hilflosigkeit, hatte Nelly den Eindruck, dass sie so gut wie nichts über ihren Sohn wusste, einmal abgesehen von seinem Geburtsdatum, Vor- und Zunamen sowie seiner Anschrift.
»Oder er hat mir davon erzählt, und ich habe ihm nicht richtig zugehört«, fügte sie mehr an sich selbst gewandt hinzu. Auch das war möglich, manchmal musste Mau Sachen mehrmals sagen, bis sie sie mitbekam oder sich merkte.
»An einem Ausflug von Freunden zu dem Hausmeister, der auf dem Land wohnt, wäre jedenfalls nichts Merkwürdiges. Er schien mit den Jugendlichen ein recht herzliches Verhältnis zu pflegen«, murmelte Gerolamo, und schon wieder war dies ein für seine Verhältnisse erstaunlich langer Kommentar. Nelly
Weitere Kostenlose Bücher