Schnee an der Riviera
von dieser Nachricht noch nichts. Sei ehrlich, Nelly, wo ist Mau? Geht es ihm gut?«
»Sandra, Mau ist in Sicherheit, doch es stimmt, dass ich ihn fortgeschickt habe, damit er sich von dem Schock erholt und um ihn von eventuellen Anspielungen und Abgründen dieser Art fernzuhalten.« Sie zeigte auf den Brief. »Und was den Garten der Macht angeht, da fällt mir beim besten Willen nichts zu ein«, log sie.
Sie hoffte, dass sie überzeugend geklungen hatte. Doch bei Sandra zog das nicht.
»Ich hab an die Pittalugas gedacht, weißt du. Keine Ahnung, warum, aber es wird gemunkelt, die kleine Monica wäre die Freundin von diesem Habib gewesen oder hätte zumindest oft mit ihm rumgehangen. Das zu schreiben, trauen sie sich noch nicht, wegen der Familie, aber früher oder später kommt was an die Oberfläche, die werden Namen und Nachnamen nennen, ich oder andere Journalisten, schließlich will jeder der Erste sein. Der Garten der Macht ... was mir da vorschwebt, ist der Park von ...«
»Federica und Gianandrea in Castelletto«, schloss Nelly nüchtern.
»Genau. Ich hab versucht, Federica ans Telefon zu kriegen, aber die lässt sich verleugnen. Die Familie hat sich vollkommen abgeschottet. Verwandte, Freunde, Bekannte, alle scheinen ein Schweigegelübde abgelegt zu haben. Es ist, als wären sie unsichtbar geworden. Dabei treibe ich mich noch in den entsprechenden Kreisen herum. Überall Grabesstille. Es ist auch niemand bereit, sich zur finanziellen Lage der Familie zu äußern.«
»Was meinst du mit finanzieller Lage?«
»Vor einiger Zeit hieß es, das Unternehmen stecke in finanziellen Schwierigkeiten, du weißt ja, die haben Niederlassungen in der ganzen Welt, sogar in China haben sie eine aufgemacht, glaub’ ich. Wie dem auch sei, angeblich lief irgendwas nicht mehr so, wie es sollte, auch aktientechnisch, die waren gerade an die Börse gegangen, da hat sich der Wind gedreht. Das wurde aber nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Und jetzt – nichts mehr. Als hätte sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Übrigens, die Schule macht ja am Montag wieder auf. Und ... wie geht es der Galli?«
»Die liegt noch immer im Koma. Verdammt noch mal, Sandra, diese Geschichte macht mir echt zu schaffen. Zwei Jungs hat sie schon das Leben gekostet. Und für die anderen, die irgendwie in der Sache mit drinstecken, ohne dass wir sagen könnten, wie, bestehen erhebliche Sicherheitsprobleme. Mau bestreitet, je was gewusst zu haben, er hat angeblich nur gekifft. Wir lassen nichts raus, weil es tatsächlich noch nicht viel zu sagen gibt und weil die Ermittlungen zu heikel sind. Wie wär’s damit: Wir halten meinen Sohn aus dem Spiel, und du hilfst mir den Verfasser dieses Briefes aus der Reserve zu locken, wenn es nicht einfach irgendein Spinner war, oder die Pittalugas, falls Monica was damit zu tun hat. Schreib einen sibyllinischen Artikel, gegen den keiner klagen kann, der aber durchblicken lässt, auf wen du anspielst. Und dann sehen wir mal, was passiert.«
»Meine Spezialität. Manchmal komme ich um die Klage allerdings trotzdem nicht herum. Okay, aber dafür will ich auch eine Gegenleistung haben: Wenn’s irgendeine saftige Neuigkeit gibt, irgendwas Hieb- und Stichfestes, dann sagst du es mir sofort. Und zwar nur mir.«
»Ist gut. Wenn es was gibt, erfährst du es als Allererste.«
»Und wie geht’s dir, Nelly?«
Sandras warmer, besorgter Ton war genauso tröstlich wie Carlos nächtlicher Anruf.
»Hart am Wind. Aber es geht schon, wie immer. Wenn Mau im Spiel ist, ist mein Panzer natürlich dünner als sonst. Danke für deine Freundschaft, Liebes.« Sandra hatte für Rührseligkeiten genauso wenig übrig wie Nelly. Sie streichelte ihr sacht über die Wange.
»Wenn du mich brauchst, ich bin immer für dich da. Grüß Mau von mir, wenn du ihn sprichst. Ich muss jetzt los, sonst verdrücke ich noch eine Scheibe Focaccia und gehe auf wie ein Hefekuchen. Ich war übrigens beim Ernährungsberater und habe mir eine neue Diät verschreiben lassen. Ganz große Klasse.«
»Auf Focacciabasis?«
»Du bist blöd«, lachte Sandra im Aufstehen und ging zur Tür.
Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal zu Nelly um.
»Und der Seewolf? Hat er was von sich hören lassen?«
»Neugierig wie immer, hm? Ja, er hat was von sich hören lassen. Er hat mich zu einer Unzeit aus dem Schlaf gerissen, genau wie du.«
»Was sich liebt, das weckt sich.«
»Scheint so.«
Sandra umarmte sie und lief eilig die graue Schiefertreppe
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