Schnee an der Riviera
dünn oder dick, die sich mal unauffällig, mal herausfordernd umsahen, auf der Suche nach etwas für eine Nacht, einen Monat, ein paar Jahre, alles war recht.
Die Paare fühlten sich den anderen überlegen, die Frauen und Mädchen präsentierten ihre Begleiter mit lässiger Gewissheit und warfen vielsagende Blicke in die Runde. Und auch die Männer, den Arm schützend um die Schultern der Freundin gelegt, demonstrierten ihre soziale Überlegenheit gegenüber den Singles, die sich an den Tresen klammerten wie an einen Rettungsring, doch auch ihre Augen streiften pirschend umher. Einer wartete, bis seine Begleiterin woanders hinsah, und hob sein Glas komplizenhaft in Nellys Richtung. Beinahe hätte sie laut losgeprustet – wenn der wüsste, weshalb sie hier waren, und wer sie waren! –, da erschien Monica in der Tür.
»Stell dich vor mich, Gerolamo, schnell, ich will nicht, dass sie mich sieht!«
»Was? Wer ...? Ah, sie.«
Jetzt hatte auch Gerolamo Monica Pittaluga entdeckt. Er wusste sofort, wer sie war, denn er hatte sie kurz im Polizeipräsidium gesehen. Das Haar fiel ihr offen über den Rücken, sie war stark geschminkt und sah älter aus. Sie trug ein durchsichtiges knallrosa Netztop, einen extrem kurzen, schwarzledernen Minirock und ein Jäckchen aus superweichem schwarzen Nappa. Ihr Gesicht war ausdruckslos, ein wenig aufreizend. Sie kam in Begleitung eines hochgewachsenen, sehr gut angezogenen jungen Mannes, der ihr den Arm um die Taille gelegt hatte. Dahinter, in einen roten Minirock sowie in ein farblich passendes Top gequetscht, aus dem zwei beängstigend dicke Brüste hervorquollen, tauchte Miriam auf. Sie trug eine graue Jacke, war lächerlich dick geschminkt und wurde von einem vornübergebeugten, bebrillten Jungen begleitet, der ihr den Arm um die Schultern gelegt hatte.
»Nach allem, was passiert ist, kommt dieses Flittchen hierher, um einen draufzumachen?«
Nelly konnte es nicht fassen. Entweder war die kleine Pittaluga einfach durchgeknallt oder sie hatte wirklich nichts mit der ganzen Sache zu tun. Habibs Tod hatte sie offenbar nicht sonderlich beeindruckt, wenn sie, gleich nachdem sie davon erfahren hatte, wieder um die Häuser zog. Oder wollte sie damit etwas demonstrieren? Und wem?
Unwillkürlich empfand Nelly Mitleid für diesen dunkelhäutigen Jungen und seine Familie. Sein Tod interessierte niemanden, gerade so, als hätte jemand eine Fliege zerquetscht. Doch Habib war keine Fliege, sondern ein Mensch wie alle anderen auch. Und was immer er in seinem jungen Leben angestellt haben mochte, er hatte hinreichend dafür bezahlt. Sie beobachtete Monica, die sich zu einem Tisch mit offenbar ebenfalls zur Genueser Oberschicht gehörenden jungen Leuten durchgezwängt hatte. Sie grüßte in die Runde und setzte sich auf den Schoß eines Jungen mit rötlichem Haar. Ihr schöner Begleiter, Miriam und der andere Junge fanden nur mit Mühe einen Platz. Wie sehr hätte Nelly sich gewünscht, Federica könnte ihr unfehlbares Töchterchen jetzt sehen. Hintereinanderweg kippte Monica zwei Bacardi hinunter und wechselte dann auf die Knie des eleganten Jungen, mit dem sie gekommen war und der sie begeistert anhimmelte. Den Busen gegen seine teure Jacke gedrückt, hielt sie die Lippen ganz dicht an sein Ohr und raunte ihm etwas zu.
»Der hat bestimmt schon einen Steifen«, kam es Nelly in den Sinn.
Monica war die Verführung in Person. Das Mädchen aus gutem Hause, das zu ihr ins Büro gekommen war, erschien jetzt wie eine entfernte Verwandte, die ihr nur ansatzweise ähnlich sah.
»Schau mal, Lombardo ist hereingekommen.«
Monicas Schutzengel hatte sich an den Tresen gesetzt und eine Cola bestellt. Sofort hatte er Gerolamo und Nelly entdeckt, ließ sich jedoch nichts anmerken.
»Schön, gehen wir, Gerolamo. Ich will nicht, dass die Mädels uns sehen. Wie der Abend ausgeht, können wir morgen früh in Lombardos Bericht lesen.«
»Wie soll der schon enden? Im Bett natürlich«, bemerkte Gerolamo wie immer tödlich ernst. Nelly konnte ein Lachen nur mühsam unterdrücken. Der Typ, der ihr zugeprostet hatte, zwinkerte ihr abermals zu, und sie trat ihm im Vorbeigehen auf den Fuß. Einen Augenblick später waren sie draußen in der samtigen ligurischen Frühlingsnacht. Nur ein leises Lüftchen regte sich, und der Duft des Meeres, vermengt mit den zahllosen Gerüchen der Altstadt, umfing sie.
»Und, was meinst du?«
»Die wissen mehr, als sie zugeben. Die beiden, meine ich. Die haben nur Mist
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