Schnee an der Riviera
farblos und abweisend.
»Commissario Rosso«, stellte sie sich knapp vor. »Wie geht es Signora Galli? Wir haben erfahren, dass sie aus dem Koma, in das sie nach dem Unfall vor vier Tagen gefallen ist, erwacht ist.«
»Angenehm, Commissario (sein Blick sagte genau das Gegenteil). Ich bin Doktor Bonardi. Die Signora ... die Professoressa ist seit kurzem wieder bei Bewusstsein, aber den Umständen entsprechend noch schwach und verwirrt. Für eine Befragung scheint es mir noch zu früh zu sein.«
»Ich habe nicht vor, sie lange zu belästigen. Ich will ihr nur ein paar kurze Fragen stellen, und das natürlich in Ihrer Gegenwart, Dottore. Sobald es der Patientin zu viel wird oder Sie merken sollten, dass sie sich überanstrengt, höre ich sofort auf. Doch für unsere Ermittlungen kann ihre Aussage von entscheidender Bedeutung sein.«
Doktor Bonardi zögerte einen Augenblick zu lang.
»Also, wo liegt die Patientin?«, fragte Nelly und setzte sich energisch in Bewegung, unmittelbar gefolgt von ihrem Schatten Gerolamo. Dem Arzt blieb nichts anderes übrig, als ihnen verstimmt, aber geschlagen den Weg zu zeigen.
»Hier entlang«, sagte er brüsk und öffnete eine Glastür, die in einen schummrig beleuchteten Raum führte. Dort auf einem Bett lag, an Kabel und Schläuche angeschlossen und noch weißer als das Kopfkissen, der Schrecken des Klee-Gymnasiums, Cornelia Galli. Zuerst dachte Nelly, sie hätten sich in der Tür geirrt. Diese Frau konnte unmöglich die Galli sein. Doch kaum hatten sich die Augen an die spärliche Beleuchtung gewöhnt, erkannte sie die seltsam kantig wirkenden Züge, die schmalen, hübsch geformten Lippen, die tiefen Falten, die sich von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zogen. Ihre Lider waren geschlossen, doch beim sachten Geräusch der Tür wandte sie langsam den bandagierten Kopf und öffnete mühsam und mit äußerster Anstrengung die Augen. Neben ihr saß ein dunkelhaariger, jugendlich wirkender Mann und hielt ihre Hand. Auch er sah auf und musterte die Eindringlinge, allerdings ohne Groll. Fragend sah er Doktor Bernardi an.
»Die Polizei, Signor Marengo. Sie möchten Ihrer Frau ein paar kurze Fragen stellen. Wegen des Unfalls an der Schule, Sie wissen schon.«
Ehe der Mann etwas einwenden konnte, fügte er rasch hinzu: »Ich werde bei der Befragung anwesend sein, um sicherzustellen, dass Ihre Frau sich nicht zu sehr anstrengt oder aufregt.«
Signora Gallis Mann klappte den Mund wieder zu und nickte kurz, ohne jedoch die Hand seiner Frau loszulassen oder sich zu rühren. Er wirkte wie ein treuer Hund, der für sein Herrchen alles tun würde.
Nelly trat lächelnd ans Bett. Sie bewegte sich sehr vorsichtig und sprach mit leiser, freundlicher Stimme.
»Ich bin so froh zu sehen, dass es Ihnen besser geht, Signora. Ich bin die Mutter von Maurizio Tondelli, allerdings bin ich als Kommissarin hier. Wenn Ihnen das Sprechen zu schwer fällt, machen Sie mir einfach Zeichen. Erinnern Sie sich an den Tag des Unfalls?«
Die Frau nickte sehr langsam.
»Erinnern Sie sich noch, was passiert ist, ehe Francesco Bagnasco Sie gestoßen hat?«
Abermals ein Nicken. Doch nun musste Nelly sich weiter vorwagen, wenn sie an brauchbare Informationen kommen wollte.
»Hatte Francesco etwas in der Hand? Hat er etwas versteckt?«
»Ja, etwas«, wiederholte die Frau schleppend und nickte wieder.
»Haben Sie gesehen, was es war?«
Die Frau runzelte die Stirn, als versuchte sie sich zu erinnern. Doktor Bonardi, der hinter Nelly stand, fing an, nervös zu werden.
»Die Hand unterm Pulli. Er versteckte was unterm Pulli.« Dann fügte sie mühsam hinzu: »Ich hoffe, das hat ... das hat keine ernsten Konsequenzen für Francesco Bagnasco, dieser ... er wollte ... wollte mir bestimmt ... nichts Böses. Es war ... ein blöder Unfall.«
Sie versuchte zu lächeln. Nelly empfand ein seltsames Mitgefühl mit dieser Frau, die sie nie hatte leiden mögen. Sie war also doch nicht so eine Schreckschraube, wie sie immer geglaubt hatte. Die sonst so harten, strengen Augen schimmerten plötzlich weich und sanft.
»Es reicht jetzt, bitte«, schaltete sich der Arzt ein.
Der Mann blickte sie beipflichtend an und nickte in Richtung Tür. Kaum waren sie draußen, fragte Nelly den Arzt:
»Sie weiß noch nichts von dem Jungen, richtig?«
»In ihrem Zustand? Völlig unmöglich. Und sie darf auch in den kommenden Tagen nichts davon erfahren. Sie braucht äußerste Ruhe.«
»Danke, Dottore. Wir werden im Laufe der nächsten
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