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Schnee Im Regierungsviertel

Titel: Schnee Im Regierungsviertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg R. Kristan
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»Die Zentrale hat kein Interesse am Experiment, sondern nur an den Erfolgen – und die haben wir noch nicht zu verzeichnen, leider.«
    Der Projektleiter machte eine beruhigende Handbewegung: »Dieser Vortragende Legationsrat vom AA ist reif. Ich habe für ihn schon einige Rechnungen beglichen – gegen Schuldscheine natürlich.« Kubitzka klopfte mit der linken Hand auf die Jackettseite, in der sich die Brieftasche befand. »Der Herr steckt offensichtlich in der Klemme; der Lieferant ist ihm abgesprungen. Es fehlt an Stoff und an Geld. – Nun, die Gruppe weiß, daß ich mit beidem dienen kann. Auch die ehrgeizige Helferin aus dem Forschungsministerium läßt sich in wenigen Tagen aktivieren. Sie nennt mich schon ihren Schneemann oder – um im Jargon zu bleiben – ›bonhomme de neige‹. Das ist immer der erste Schritt in das Abhängigkeitsverhältnis. Aber zunächst kann die Perspektivkraft aus dem Europaministerium den Ausfall des Bundeskanzleramts kompensieren.«
    »Teuflisch, was wir da betreiben«, stellte sichtlich nervös die Mitarbeiterin fest. »Wir wollen Informationen und zerstören Körper und Seele unserer Zuträger. Den Ausgebrannten bleibt in vielen Fällen nur noch der Weg in den Tod.«
    Direktor Tschernow sah über sie hinweg. Er wollte sich nicht in eine sentimentale Diskussion verwickeln lassen. Er hatte nicht zu fragen, ob das Projekt ethisch vertretbar war. Es war befohlen – folglich hatte der Dienst zu gehorchen. Wenn einer mit dem Problem fertig werden konnte, dann Jan Kubitzka. Dieser Mann war skrupellos genug für eine solche Aufgabe.
    »Bei der Arbeit für den Frieden sind Opfer unvermeidlich«, dozierte Tschernow. »Kriege sind schrecklicher. Schließlich haben wir erlebt, was es bedeutet, ohne politische Freunde und zugleich uninformiert zu sein. – Also, Kubitzka, ich möchte der Zentrale möglichst bald Erfolge melden. Einen zweiten Fall X können wir uns nicht leisten. Um es in dieser Runde ganz präzise zu sagen: Können Sie sich nicht leisten.«
    Jan Kubitzka zeigte sich keineswegs betroffen. Mit einem kalten Lächeln blickte er in die Runde. »Meine ›Cessna‹ wird mir dabei helfen. Fliegen imponiert und fasziniert. Wer sich privat ein Flugzeug leisten kann, ist King in der Gruppe: ein fliegender Konsul und Schneemann im Dienste des Friedens. – Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich werde in den nächsten Tagen öfter nach Belgien und Holland fliegen und mich im Kulturhaus ab sofort nicht mehr sehen lassen. Eine Verbindung hierher darf auf keinen Fall deutlich werden. Mein Heimatland erwartet von seinem Honorarkonsul, daß er seine Pflicht tut und sich der Ehre würdig erweist, eine Bananenrepublik zu vertreten.«
    »Ich nehme das zur Kenntnis«, sagte Direktor Tschernow und beendete die Besprechung.

 
    5
     
     
     
    Das Bild der Toten vom Kaiser-Wilhelm-Stein hatte im Laufe des Tages nicht an Konturen gewonnen. Irmela Ellers schien eine junge Frau ohne Freunde und Bekannte gewesen zu sein. Die Immatrikulation an der Friedrich-Wilhelm-Universität war offensichtlich nichts anderes als eine Verlegenheitslösung nach dem Verlust des Jobs in der Regierungszentrale.
    Lupus hatte von seinem langjährigen Feind-Freund Presse-Mauser über die Tote nichts erfahren können. Von der Drogenszene glaubte Mauser zu wissen, daß sie geschrumpft sei. Für Kleinverbraucher werde im Dreiländereck reichlich Stoff angeboten. Pressemäßig sei in den letzten Wochen nicht viel drin gewesen. Jetzt allerdings, mit dem Tod unter den Augen des Kaisers, würde wieder Leben in die Bude kommen. Dafür werde er, Presse-Mauser, schon sorgen.
    Die Vernehmung der beiden nächtlichen Zeugen hatte nur die schon gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Lupus hatte sich nochmals vergewissert: »Sie haben also keinen Menschen bemerkt?« Die beiden Studenten hatten den Kopf geschüttelt.
    »Da war niemand; aber eine Mondnacht, wie sie schöner nicht sein konnte«, meinte Verena.
    »Und doch haben wir jemanden gesehen«, erinnerte sich Ulrich nach einigem Überlegen. »Weißt du nicht mehr? Als wir aus Jonathans Pinte kamen, sahen wir einen einzelnen Mann an der Bordsteinkante stehen. Er fiel mir besonders auf, weil man sonst nur Grüppchen oder Paare sah.«
    Verena seufzte: »Ich hatte ganz andere Eindrücke und Gefühle – ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
    Lupus hatte weiter insistiert; doch dabei war nichts Konkretes herausgekommen. Nur, daß der Mann wohl nicht mehr »ganz so jung war«. Für

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