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Schnee Im Regierungsviertel

Titel: Schnee Im Regierungsviertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg R. Kristan
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künftig Mittel und Wege finden, den Betroffenen deutlich zu machen, daß es Schnee nur für den vergnüglichen Feierabend und für das Wochenende geben darf. Wer sich in einer deutschen Dienststelle beim Koksen erwischen läßt, muß vor der Präsentation seiner Schuldscheine beim Verfassungsschutz mehr Angst haben als vor Entziehungserscheinungen. Wer…«
    »Sie sprechen über Vorgänge und Begriffe, die nicht allen in der Runde geläufig sind«, unterbrach der Vorsitzende die Darlegung. »Vielleicht könnten Sie als Projektleiter die Zusammenhänge in Kurzfassung erläutern. Die Zentrale mußte von höchster Stelle angewiesen werden, solch ein Experiment zu wagen, und sie ist nach wie vor skeptisch. Im Kader könnten gewisse Leute daran interessiert sein, daß es nicht klappt. Wir, die Ausführenden, würden dann allerdings auf der Strecke bleiben. – Also sollte es im Interesse aller klappen.«
    Jan Kubitzka nickte. »Sie wissen, es geht um die Gewinnung von Informanten und Perspektivagenten. Neu bei dem Verfahren der Anbahnung ist der gezielte Einsatz von Drogen. Für unsere Zwecke kommt nur Kokain in Frage, nicht gespritzt, sondern geschnupft oder inhaliert. Es handelt sich um eine vorzüglich euphorisierende Droge. Sie steigert das Selbstwertgefühl und fördert Aktivitäten, ohne zunächst das kritische Denken mehr als für unsere Zwecke erwünscht, auszuschalten. Die sich nach und nach aufbauende Sucht ist nicht so zerstörend wie bei Heroin. Ob wir später die neuen Designer-Drogen, also chemische Abkömmlinge von Narkose- und Schmerzmitteln, einsetzen können, muß vorerst offen bleiben. Damit zu operieren wäre jetzt ein zu großes Risiko, obwohl der Stoff billiger ist und leichter beschafft werden könnte. Wissenschaftliche Untersuchungen laufen bereits. Man wird uns über die Ergebnisse informieren. Im übrigen sollten wir einen anderen Faktor nicht außer acht lassen: Wenn jemand an Rauschgift stirbt, wird nach weiteren Gründen für den Tod wohl kaum gefragt. – Noch ein Wort zu den Begriffen wie Kokain, Schnee und Koks. Sie sind identisch, gemeint ist immer das kristalline weiße Pulver, welches durch Gärung der Blätter des Cocastrauches und Destillation der so entstandenen pasta basica in den Dschungellabors in Südamerika gewonnen wird. Die Hauptlieferanten sitzen in Kolumbien. Sie versorgen den Drogenmarkt in den Vereinigten Staaten. Fünf Millionen Amerikaner sind vom Schnee abhängig und schnüffeln sich durch den Streß des Kapitalismus. Warum sollte unsere Seite aus dem Stoff nicht auch einen Nutzen ziehen?«
    »Aber geraten wir da nicht mit der deutschen Polizei oder dem Zoll aneinander?« fragte die einzige Dame am Tisch.
    »Wohl kaum«, antwortete Kubitzka nicht sehr verbindlich. »Über die Art und Weise der Stoffbeschaffung möchte ich nicht sprechen. Wir haben genügend Beziehungen und Verfügbarkeiten.«
    Direktor Tschernow signalisierte Zustimmung. »Dieser Kreis ist nur für die nachrichtendienstliche Seite zuständig. Nach der Projektvorgabe sind drei bis vier Versuchspersonen zu gewinnen, die sich in Schlüsselstellungen befinden. Leider müssen wir das Projekt K abschreiben.«
    »Wir haben noch unseren Mann im Wirtschaftsministerium, in der Abteilung für Zukunftstechnologien, und eine vielversprechende Kraft im Europaministerium, dessen Koordinationsabteilung für die Weltraum- und Luftfahrtprojekte der Europäischen Gemeinschaften eine zunehmende Bedeutung erlangt. Die Erkenntnisbereiche dort stehen denen im Bundeskanzleramt nicht nach.« Jan Kubitzka zeichnete mit dünnen Strichen und Pfeilen einige Organigramme von Ministerien auf den vor ihm liegenden Schreibblock. »Ich sehe noch weitere Möglichkeiten im Ministerium für Forschung und Technologie und im Auswärtigen Amt. Ein paar Schlüsselfiguren aus diesen Häusern gehören zu einer besonderen Gruppe, aus der wir schon zwei Kräfte gewonnen haben.«
    »Gruppe?« fragte der Direktor. »Ist das nicht ein zusätzliches Risiko?«
    Jan Kubitzka lächelte. »In dem Fall nicht. Wer in dieser Gruppe ist, der muß immer wieder beweisen, daß er dazugehört. Das ist ganz schön teuer: Exklusive Mode, große Autos und ein kostspieliger Verhaltenskodex. Veranstaltungen mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit, gelegentlich eine gemeinschaftliche Reise mit Bildungs- und Abenteuercharakter – und vor allem: Schnee.«
    »Wir haben nach dem Unfall beim Objekt K nicht viel Zeit.« Tschernow fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.

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