Schnee Im Regierungsviertel
doch von deiner Tochter erfahren, daß im Clan kräftig gekokst wird, stimmt’s?«
»Ja, aber die…«
»Laß mich erst einmal weiterreden, bitte. Der Clan hat Schnee konsumiert; das kann nicht wenig gewesen sein, wenn alle davon genascht haben. Und den Schnee gab’s auch im Regierungsviertel, jedenfalls für Irmela Ellers. – Freunde, wo ist nun das missing link, oder besser gesagt, die verbindende Figur im Spiel? Wer steht in Irmelas Telefonverzeichnis – und wer gehört gleichzeitig zum Schnuppie-Clan?«
Der Kommissar hatte die Überlegung so auf den Punkt gebracht, daß von Lupus und Ahrens die Antwort fast gleichzeitig kam: »Der fliegende Konsul!«
Kommissarin Fendt, die zum ersten Mal in der Mordkommission mitarbeitete, wunderte sich darüber, welch spekulatives Moment Freiberg in den Fall brachte. Ein Verdachtsgebäude auf so. wenigen Tatsachen aufzubauen, erschien ihr unseriös und leichtsinnig. »Mir ist das alles zu phantastisch; ich habe gelernt, Fakten zu ermitteln und sie für sich selbst sprechen zu lassen. Daß Jan Kubitzka Beziehungen zu diesem Callgirl hatte, beweist so gut wie nichts. Solche Beziehungen hatten andere Diplomaten auch. – Ja, wenn Hoffie ihn als den geheimnisvollen Heroinkäufer ohne Wenn und Aber wiedererkannt hätte…«
Freiberg bremste ihren Eifer. »Vergiß mal die reine Lehre und die Sprüche der Fernsehkommissare. Wer nicht spekuliert, weiß nicht, nach welchen Fakten er suchen muß, wenn sie ihm der Täter nicht vor die Füße gelegt hat. ›Verbrechen entstehen im Kopf, und sie müssen mit dem Kopf geklärt werden.‹ An das Wort meines Lehrers halte ich mich. Wenn wir unsere Spekulationen, du kannst auch sagen ›Verdächtigungen‹, nicht beweisen können, müssen wir neu ansetzen und nach Beweismitteln suchen – und wieder neu und nochmals neu. Wir dürfen uns nur nicht in eine Spekulation verbeißen, dann feststellen, daß sich nichts beweisen läßt, und die Akte zuklappen. Nein, so nicht! Immer wieder neu ansetzen! Meine Akten werden erst zugeklappt, wenn der Täter ermittelt ist. Mord verjährt nicht. – Uff, nun zeig mir noch mal die Bilder her.«
Barbara Fendt nickte und reichte ihm die Fotos herüber.
»Deine Idee, an Ort und Stelle Bart und Brille aufzumalen, war gut. Aber der Betrachter konzentriert sich zu sehr auf die so stark hervortretenden Zutaten. Wir lassen jetzt von unseren Spezialisten verschiedene Fotos von Kubitzka aufmöbeln mit Nickelbrille und Schnurrbärtchen. – Die muß Hoffie sich dann noch einmal ansehen. Kannst du ihn erreichen?«
»Er will mich heute noch anrufen, bevor er nach Antwerpen zurückfährt.«
»Versuch alles, daß er sich die bearbeiteten Bilder ansieht – das ist unerhört wichtig; es geht um Mord. Steig in dein Rennauto und sieh zu, daß du ihn zwischen Köln und Antwerpen abfängst. – Ahrens! Nimm alle Fotos vom Flugplatz mit und laß unserem fliegenden Konsul Bart und Brille verpassen. Wenn’s geht, noch gestern! Also, ab mit dir!«
Ahrens schob die Bilder zusammen und verschwand.
Barbara Fendt war noch nicht überzeugt, daß Freiberg einen brauchbaren und tragfähigen Ansatz für die Ermittlungen gefunden hatte. »Ich sehe einfach kein Motiv.«
Freiberg antwortete mit entwaffnender Offenheit: »Ich auch nicht. – Aber spekulieren wir: Warum werden Menschen von ihren sogenannten Mitmenschen umgebracht? Aus Mordlust, Habgier, Eifersucht, Haß, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aber auch aus Angst vor Entdeckung einer Straftat oder aus Furcht vor der Offenbarung kompromittierender Tatsachen. Diese Aufzählung soll erst einmal reichen. Nun legen wir die Meßlatte an: Reine Mordlust wird’s wohl kaum gewesen sein, dafür fehlen die Anzeichen. – Habgier, Haß? Auch das paßt prima vista nicht zur Tatausführung. – Zur ›Befriedigung des Geschlechtstriebs‹, wie unser Mordparagraph ohne jede Prüderie formuliert, fehlen auch alle Anzeichen; da hat es ja im Falle unserer Toten andere und erprobte Verhaltensweisen gegeben. – Eifersucht? Wo sind die Bindungen, aus denen sie erwachsen sein könnte? Nein – ich glaube ganz einfach, daß die Ellers jemandem im Wege war. Sie war zu einer bedrohlichen Belastung geworden. Um es ganz brutal zu sagen: Sie mußte stumm gemacht werden. An einen Betriebsunfall beim Drücken mit Heroin glaube ich immer weniger.«
»Vielleicht hat sie dem Schneemann mit der Sonne gedroht«, überlegte Lupus.
»Oder es steckt noch etwas ganz anderes dahinter«, sinnierte
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