Schnee Im Regierungsviertel
Kommissarin vom zweiten K. vertritt eine interessante Theorie: Irmela Ellers war eine drogenabhängige Spionin im Bundeskanzleramt. Als die ausgeflippt ist und nichts mehr bringen konnte, hat man sie mit dem Goldenen Schuß umgebracht. – So einfach ist das.«
»Manche Frauen spinnen auch ohne Rad und Wolle.«
»Lachen Sie nur, Kollege Sörensen – ich halte das durchaus für möglich.«
Die Unterredung nahm wieder etwas bizarre Konturen an, über die man im Präsidium schmunzelte; Sörensens »Du« stand Freibergs »Sie« gegenüber. Er brachte es einfach nicht fertig, den kurz vor seiner Pensionierung stehenden väterlichen Kollegen zu duzen.
Sörensen blätterte im Verfassungsschutzbericht zurück. »Die ND-Offiziere der Linie X der KGB-Residentur in Bonn werden sich auf solch riskante Sachen bestimmt nicht einlassen; die Hauptverwaltung Aufklärung vom M. f. S. auch nicht. Diese Dienste sind zwar tüchtig, aber stockkonservativ. Die und Drogen? – No Sir, rien!«
»Vielleicht riskieren die Kleinen mehr als die Großen.«
Sörensen klappte den Bericht zu. »Das wäre ja ein Stück aus dem Tollhaus.«
Freiberg überlegte eine Weile. »Ich möchte doch zu gern wissen, bei welchen Leuten der fliegende Konsul ein und aus geht.«
Sörensen sah auf. »Von wem sprichst du?«
»Na, vom Liebling der Regenbogenpresse, dem Playboy Jan Kubitzka, Honorarkonsul dieser Bananenrepublik.«
»Ach der. – Übrigens haben wir den auch schon mal im Visier gehabt. Ohne Erfolg.«
Freiberg hatte sich aufmerksam vorgebeugt und wippte mit dem Oberkörper vor Spannung hin und her. »In welchem Zusammenhang?«
»Der scheint nicht nur Frauen und das Geld zu lieben, der macht auch in Kunst und Kultur.« Sörensen ließ die Blätter des Verfassungsschutzberichtes über den Daumen gleiten. Das schnurrende Geräusch war nicht dazu angetan, Freibergs Nervosität zu dämpfen. »Und wo?« fragte er.
»Bei den Veranstaltungen im Bahnhof Rolandseck, zum Beispiel. Als kürzlich Günter Grass in diesem Kulturschuppen eine Trommellesung mit dem Perkussionisten ›Baby‹ Sommer veranstaltet hat, gab’s ein tolles Happening. Mein Sohn hat ganz begeistert darüber berichtet. Jan Kubitzka war auch mit von der Partie; aber das nur am Rande. – Vor einem halben Jahr haben sich die Verfassungsschützer danach erkundigt, was im ›Haus der völkerverbindenden Kultur‹ vorgeht. Sie vermuten, daß es sich um eine Legalresidentur handelt. Wir haben daraufhin vierzehn Tage rund um die Uhr observiert. Da gehen allerhand kunstinteressierte Bonner, auch Politiker und Wirtschaftsleute ein und aus. Alle dort stattfindenden Veranstaltungen wie Vorträge, Ausstellungen usw. sind bestens geeignet, Kontakte herzustellen und Informationen auszutauschen. Bemerkt haben wir allerdings nur, daß die Hausherren sehr um die deutschen Besucher aus Politik und Wirtschaft bemüht waren. – Ich erinnere mich genau, daß auch der Name deines Konsuls Kubitzka in unseren Observationsberichten steht. – Wenn du mich fragst: Das Kulturhaus ist mit Sicherheit eine Nachrichtenbörse.«
Freiberg versuchte, diese neuen Fäden zu fassen und mit seiner Theorie zu verknüpfen. Vielleicht war es auch nur eine Phantomidee über Zusammenhänge zwischen Drogen und Spionage, geboren aus Hilflosigkeit und Wunschdenken.
»Bevor du dich Hand in Hand mit Kommissarin Barbara weiter verrennst«, unterbrach Sörensen Freibergs Überlegungen, »laß dir etwas vielleicht Wichtigeres berichten: Ich habe mit dem Sicherheitsreferenten vom Forschungsministerium telefoniert. Er hat bei einer Routinekontrolle die zerknüllte Kopie einer Seite aus einer Denkschrift über den Deutschen Beitrag zur Optoelektronik-Entwicklung, von Bauteilen oder ähnlichem, im Papierkorb neben einem Schnellkopierer gefunden. Keine Geheimsache, aber immerhin eine Verschlußsache ›VS-Vertraulich‹. Davon hat niemand unautorisiert Kopien zu ziehen, auch nicht für die eigenen Handakten.«
»Und was besagt das für uns?«
»Wart’s ab. – Diese Optogeschichte ist in mehreren Referaten bearbeitet worden. Ich wette, daß jeder Sachbearbeiter seine eigenen Arbeitskopien im Schreibtisch hat. Die meisten sehen das mit der Vertraulichkeit nicht so eng. Sie wollen nur in Ruhe an ihren Texten arbeiten, ohne dauernd mit der VS-Registratur zu tun zu haben.«
Freiberg war enttäuscht. »Die wissen im Ministerium also nicht, wer alles die Unterlagen in der Hand gehabt hat?«
»Doch, doch, so unbedarft sind die
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