Schneeballflirt und Weihnachtszauber
unser Programm ab. Obwohl ich langsam aber sicher zu einem soliden Eisblock erstarrte, hatte das Ausharren etwas Gutes: Mehr als drei Lieder hatte er nicht drauf, und von den dreien blies er nur Ihr Kinderlein kommet fehlerfrei.
Gegen fünf machte Ferdi seine Bude dicht. Das Nachthemd meiner Urgroßmutter war patschnass, von den Engelslocken tropfte geschmolzener Schnee. Meine Lippen waren komplett gefühllos – aber aufgeben? Dem Jungen das Feld überlassen? Ne, das kam überhaupt nicht in Frage.
Blöd war nur, dass ich mein Outfit irgendwo trocknen musste. Zu Hause würde es nicht möglich sein … Aber bei Melli!
Die Turmuhr schlug fünf.
Eine dunkle Gestalt schälte sich aus dem Weiß und näherte sich uns.
O Gott, es war Bader, unser Polizist! Ich kannte ihn, weil er mir mal eine Standpauke wegen Radfahrens in der Fußgängerzone verpasst hatte.
Bader wischte den Schnee von seinen Brillengläsern. »Kinder, geht nach Hause. Das Musizieren bringt doch nichts, wenn die Leute in ihren Häusern sind. Ihr holt euch den Tod, und das ausgerechnet vor Weihnachten!«
Okay, der Mann hatte recht. Aber konnte ich ihm sagen, weshalb ich nicht nach Hause gehen konnte?
Der Junge neben mir schüttelte den Kopf. »Mir ist’s egal, wo ich spiele.«
»Junge, deine Zähne klappern. Mach, dass du ins Warme kommst.« Bader nahm die Brille ab. »Sag mal, bist du von hier? Dein Gesicht kommt mir nicht bekannt vor. Wie heißt du denn?«
Typisch Kleinstadt – hier kennt jeder jeden. Wie gut, dass die Wangenpolster mein Gesicht veränderten! Ich räusperte mich. »Wollen Sie wissen, wie ich heiße?«, erkundigte ich mich höflich. »Mein Name ist Paula Mayer. Mayer mit a und y. Wir wohnen seit dem 1. Advent hier. In der Gerbergasse«, flunkerte ich rasch. Eine Gerbergasse gab’s in unserer Kleinstadt, und allein in meiner Klasse saßen zwei Mayers, einer mit e, der andere mit einem i im Namen. Aber bei einem Schneesturm konnte man solche Kleinigkeiten bestimmt vernachlässigen.
Bader wandte sich wieder an den Jungen. »Wie heißt du?«
»Ich habe nichts angestellt und bin daher nicht verpflichtet, Ihnen Auskunft zu geben.«
Da war er aber bei Bader an der total falschen Adresse! Trotz des dichten Schneetreibens sah ich, wie sein Gesicht eine dunklere Farbe annahm. Bader stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mensch, Paul«, sagte ich rasch, » warum sagst du nicht einfach, dass du mein Bruder bist? Paul Mayer.«
»Na also«, knurrte Bader, »warum nicht gleich? Gerbergasse, hast du gesagt, Paula? Und Mayer mit a und y?«
»Ja.«
Bader trat von einem Bein aufs andere. »Macht Schluss für heute. Ich meine es ernst.«
Ich wartete. Erst wenn der Junge seine Trompete eingepackt hatte, würde ich losgehen.
Leider wartete der Junge auch.
»Mensch, Paul! Hast du nicht gehört, dass du einpacken sollst? Nun mach schon; ich hab’s ja leicht mit meiner Mundharmonika, aber du mit deiner Trompete …«
Was blieb dem Jungen übrig? Kaum hatte er den Kasten unterm Arm und die Tasche in der Hand, fiel mir ein, dass wir als »Geschwister« ja in dieselbe Richtung gehen mussten. Das Blöde war nur – welches war seine Richtung?
»Ach«, stammelte ich geistesgegenwärtig, »da fällt mir ein, dass ich ja noch eine Tüte Gummibärchen besorgen will. Bis später, Paul!«
Weil Melli abgehauen war und ihren Vater vor der Familie bloßgestellt hatte, musste sie an diesem Tag das Haus hüten. Sie war gottfroh, dass ich sie besuchte. Ohne mit der Wimper zu zucken, hängte sie die nassen Sachen im Heizungskeller auf und rief dann meine Familie an. »Ich hab Hausarrest«, jammerte sie. »Zum Glück ist Katinka bei mir – … ja, schon seit ’ner ganzen Weile… der Schneesturm? Nein, von dem haben wir nicht viel mitbekommen … Kann Katinka noch ein bisschen hierbleiben? Mir ist so langweilig, und die Sache mit meinem Vater und seiner Neuen … Klar, ich muss vernünftig sein, aber trotzdem … Was? Die Hausaufgaben? Fast erledigt … Bis später!«
Ich stand an der Heizung und taute nach und nach auf.
»Warum hast du im Schneesturm ausgeharrt?«, wollte Melli wissen.
»Mensch, Melli! Da kam ein Kerl mit ’ner Trompete und wollte mir meinen Platz streitig machen. Was hätte ich tun sollen? Klein beigeben?«
»Aber der Sturm …«
»Der hätte nicht sein müssen. Aber der Kerl hat nicht nachgegeben, und ich auch nicht. Wir sind erst gegangen, als uns Bader verjagte.«
»Bader? Der Polizist?«
»Eben der.«
Melli runzelte die
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