Schneeballflirt und Weihnachtszauber
du sie vergrault?«
»Meine Würste waren besser. Ich tat mehr Senf und Ketchup drauf. Und – ich war immer freundlich zu meinen Kunden. Aber es dauert, bis die Kunden das mitbekommen. In deinem Fall – « Er schaute mich mitleidig an. »Was dich betrifft: Deine Mundharmonika bringt nicht so viel wie die Trompete. Und drei Lieder sind zu wenig. Obwohl – du könntest spielen was du wolltest, man hört die Töne sowieso nicht.« Er kniff ein Auge zu. »Aber du bist ein Engel, vergiss das nicht!«
»Wie meinst du das?«
Er deutet mit seinem dicken Daumen auf meine Konkurrenz. »Okay, er kann Trompete spielen. Auf dem Feld kannst du ihn nicht schlagen. Aber er ist nur ein Junge, stimmt’s? Jungs gibt es wie Sand am Meer. Engel dagegen sind rar. Mach was draus, Gloria in Excelsior. Das ist deine einzige Chance. Du solltest sie nutzen.«
Ich aß die Wurst und dachte nach. Ferdi hatte recht … Mit einem Engel konnte es der Junge nicht aufnehmen. Nur – wie sollte ich die Chance nutzen? Das war die Tausend-Euro-Frage.
Sekunden später fiel mein Blick auf eine Kiste. Ich hatte die Antwort gefunden.
»Leihst du mir die Kiste, Ferdi?«
»Aber klar doch!«
Ich legte meine Mundharmonika neben Ferdis Kasse, ging auf die andere Seite der Würstchenbude, stellte die Kiste vor die Konkurrenz, setzte mich, prüfte den Sitz der Lockenperücke und des Sternenkranzes und breitete dekorativ die Falten des Urgroßmutter-Nachthemds aus. Meinen Goldcontainer stellte ich direkt auf den Strohhut, sodass er platt gedrückt wurde, und lehnte das Schild Kosten Sie auch Ferdis himmlische Rote! daran. Ich faltete die Hände, lauschte verzückt den Trompetenklängen und bedankte mich artig für jede Münze, die in meinem Container verschwand.
Es dauerte nicht lange, bis der Junge wieder mit seinem »Verschwinde!«, »Hau ab!«, Mach die Fliege!« begann.
»Der Platz ist für alle da«, stellte ich mit sanfter Stimme fest.
»Ich bekomme das Geld für mein Spiel«, wütete er.
»Du bekommst es, weil dir ein Engel zur Seite steht.«
»Ich brauche keinen Engel!« Wütend zog er den platt gedrückten kümmerlichen Strohhut unterm Container vor, stellte seinen Notenständer ein paar Meter weiter aufs Pflaster und setzte die Trompete an die Lippen.
Ich folgte ihm mit Kiste und Container.
Ein halbes Lied später zogen wir weiter.
Und dann noch einmal.
Und noch einmal.
Was soll ich sagen? Um vier hatten wir den Marktplatz umrundet. Fröhlich winkte ich Ferdi zu und hob triumphierend den Daumen.
Im platten Strohhut klimperten nur ein paar kümmerliche Münzen; in meinem Container lagen sogar ein paar Scheine.
O.K., Tante Jutta konnte an Weihnachten Gift und Galle spucken; wenn es so weiterging, würde ich keinen Spritzer abbekommen. Und Melli auch nicht.
Allerdings – der Junge tat mir schon ein bisschen leid.
8. Dezember
A l s es dämmrig wurde, sah der Junge die Noten nicht mehr. Offensichtlich war Ihr Kinderlein kommet das einzige Lied, das er fehlerlos auswendig spielen konnte, denn nach dieser Zugabe legte er die Trompete in den Kasten, holte die paar Münzen aus seinem zerdrückten Strohhut und baute sich vor mir auf.
Ich rückte zur Seite und deutete auf das freie Eckchen der Kiste. »Kannst dich gerne neben mich setzen.«
Natürlich rechnete ich damit, dass er wieder »Hau bloß ab!« fauchen würde, aber er quetschte sich tatsächlich neben mich.
Am linken Knie hatte seine Jeans ein Loch. Ich deutete darauf. »Da kommt die Kälte rein.«
»Macht mir nichts aus.«
»Bist wohl Schlimmeres gewöhnt, was?«
»Viel Schlimmeres.«
»Echt?«
Er bohrte den Finger in das Loch. »Du vermasselst mir alles.«
Ich schüttelte den Kopf. »Warum stellst du dich nicht neben den Brunnen? Oder auf die andere Seite?«
Er blickte kurz zum Würstchenmann rüber. »Der beste Platz ist hier.«
»Stimmt. Deshalb habe ich ihn auch gewählt.«
Das Loch wurde immer größer. »Ich brauche Knete!«, stieß er verzweifelt hervor.
»Ich auch.«
»Du???«
»Und ob. Aber du vermasselst mir alles«, wiederholte ich seinen Satz.
Wir funkelten uns an. »Das glaube ich nicht. Wofür brauchst du Geld?«, erkundigte er sich wütend.
»Mann, du bist vielleicht neugierig! Frage ich dich, wofür du es brauchst?«, entgegnete ich. Ich kam mir ziemlich zickig vor und deutete auf das Loch. »Eine Jeans brauche ich jedenfalls nicht.«
»Die Jeans ist mir komplett egal. Ich … «
»Ja?« Weil der Junge das Loch immer größer bohrte, legte ich
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