Schneeballflirt und Weihnachtszauber
Stirn. »Glaubst du, er kommt morgen wieder?«
»Wer? Bader?«
»Ne. Der Junge.«
Ich hob die Schultern und fragte mich, weshalb ich Bader wegen des Jungen eine Lüge serviert hatte, wo doch jeder Lügner ein feiges, fieses, unappetitliches Weichei für mich war.
7. Dezember
O nkel Alois hatte nichts dagegen, dass Melli mich nach Hause begleitete. Vorm Eingang parkte ein schwarzer Golf, neuestes Modell. »Tante Jutta!«, schrie Melli. »O mein Gott!«
Tante Jutta war die größte Schreckschraube, die man sich nur vorstellen kann; wir fürchteten ihre spitze Zunge und schlichen uns daher leise ins Haus. Offensichtlich war Tante Jutta im Wohnzimmer, denn schon in der Diele hörten wir ihre schrille Stimme. »Wie könnt ihr das zulassen! Weihnachten ist das Fest der Familie!«
»Jutta, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Alois’ Freundin zur Familie gehört«, entgegnete Omi Anni gerade.
»Will er sie etwa heiraten?«, keifte Tante Jutta. »Ich wette, sie hat es nur auf sein Geld abgesehen. Und ein Kind bringt sie auch noch mit? Wie kann Alois das seiner Tochter antun – die Neue wird sie wie ein Kuckucksjunge aus dem Nest stoßen, wartet es nur ab!«
Meine Cousine lehnte totenbleich an der Wand.
»Und dann auch noch die Sache mit Katinka!« Tante Juttas Stimme war noch schriller geworden. »Sitzen geblieben! Ha! Das Mädchen treibt sich in schlechter Gesellschaft herum! Habt ihr euch schon mal überlegt, ob sie nicht schwer erziehbar ist?«
Jemand haute mit der Faust auf den Tisch. »Es reicht, Jutta!«, hörten wir meine Mutter sagen, und Großtante Katrin fügte hinzu: »An Weihnachten wirst du deine Zunge hüten, Jutta!« Sahib kreischte Halt die Klappe! und Wo bleibt mein Futter?
Tante Jutta lachte schrill. »Ich sag, was ich denke!«
Mir war schlecht. Mir war wirklich schlecht. Ich packte Mellis Arm und rannte mit ihr die Treppe hoch und in mein Zimmer.
»Ich und schwer erziehbar!«, fauchte ich.
»Das war fies von ihr«, bestätigte Melli. »Aber dass ich aus dem Nest gestoßen werde … Katinka, damit hat sie recht.«
Der ganze Jammer brach wieder über uns herein. »Weihnachten! Wir müssen weg!«
Melli nickte. »Ich hab mir was überlegt, Katinka: Ich kann den Leuten den Geldpott nicht unter die Nase halten; stell dir nur vor, Tante Jutta käme über den Marktplatz spaziert!«
»Du müsstest dich auch als Engel verkleiden.«
»Ich hab ’ne bessere Idee. Ich bastle Sterne. Solche aus Stroh und solche aus Papier. Das kann ich. Und weißt du was? Du spielst Mundharmonika und verkaufst nebenbei die Sterne.«
Zuerst fand ich Mellis Vorschlag unmöglich. Dann dachte ich an Tante Jutta. »Warum nicht? Jeder Stern ein Euro – so was in der Art. Das müsste gehen. Melli, wir brauchen Geld fürs Jugendhotel!«
»Oder für einen Flug. Australien wäre weit weg. Was hältst du davon, wenn wir –«
Line und Lene platzten ins Zimmer.
»Die alte Kuh hat sie ja nicht mehr alle!, schrie Lene.
»Die bringe ich um!«, brüllte Line. »Sie hat gesagt, wir wären kriminell! Jemand – «
» – hat uns verpfiffen!«
»Bestimmt war das dein Ex-Lover Daniel, Katinka!«
»Oder Tina, die Schlange!«
Nach und nach kam heraus, dass Tante Jutta von der Sache mit dem Feuermelder erfahren hatte und das Ganze zur kriminellen Handlung erklärte. »Wir und kriminell – ich bitte dich, Katinka!«
»Das ist noch gar nichts«, sagte ich düster. »In ihren Augen bin ich schwer erziehbar, und Melli ist ein armes Kuckucksjunge, das von Alois’ Neuer aus dem Nest gestoßen wird.«
»Ha! Wir stoßen Tante Jutta – «
» – aus dem Familiennest!«, wütete Line. »Hundert Pro!«
Die Tür schlug hinter ihnen zu.
»Okay, Melli. Für uns ist Weihnachten endgültig gelaufen. Du bastelst Sterne, ich verkaufe sie und spiele Mundharmonika.«
Normalerweise lege ich mich abends ins Bett und schlafe in null Komma nichts ein. An diesem Tag schlief ich schlecht ein und wachte früh auf – um fünf Uhr!
Das war noch nie dagewesen. Ich fürchtete, sterbenskrank zu sein, bewegte die Beine, die Arme, den Kopf. Alles in Ordnung.
Husten, Schnupfen, Heiserkeit? Fehlanzeige.
Fieber? Meine Stirn fühlte sich an wie immer.
Herzrasen? Keines.
Offensichtlich war ich kerngesund. Warum war ich aufgewacht?
Es musste der Traum gewesen sein … Ich hatte geträumt, der Junge mit der Trompete hätte mich vom Platz gejagt.
Plötzlich saß ich kerzengerade im Bett: Ich könnte mich an den Brunnen stellen und ihm den Platz
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