Schneeballflirt und Weihnachtszauber
heraus, »will mein ganzes Leben umkrempeln! Das lasse ich nicht zu, Katinka!«
»Würde ich auch nicht«, pflichtete ich ihm bei, hakte aber gleich nach: »Sie wird dein Leben umkrempeln, weil sie in die Pampa ziehen will?«
»Ja.«
»Müsstest du die Schule wechseln?«
Er hob die Schultern. »Vielleicht. Nicht unbedingt.«
»Dann ist die Pampa aber nicht weit entfernt.«
»Geht so. Die Pampa würde ich ja noch aushalten. Aber die Familie! Die Familie ist das Schlimmste!«
Mir fiel auf, dass er immer nur seine Mutter erwähnte. »Was sagt denn dein Vater dazu?«
Flori hob die Schultern. »Den gibt es nicht mehr; er treibt sich irgendwo in Neuseeland herum.«
Das verstand ich nun wirklich nicht. »Wie bitte?«
»Geschieden und abgehauen.« Flori rutschte auf dem Sitz herum. »Ich wusste, du würdest nichts kapieren. Es ist eine lange und komplizierte Geschichte.«
»Ich mag es nicht, wenn man mich für blöd hält«, beschwerte ich mich.
»Ne, blöd bist du nicht«, versicherte Flori rasch. »Mein Leben ist blöd, meine Mutter ist blöd, und dass Weihnachten ausgerechnet jetzt vor der Tür steht, ist das Allerblödeste.«
»Wäre dir Ostern lieber?«
Er verzog das Gesicht.
»Siehst du«, triumphierte ich, »jetzt hast du fast gelacht!«
»Ja! Weil mir eine Idee gekommen ist. Katinka – weißt du was?« Seine Augen leuchteten auf. »Wir feiern gemeinsam. Irgendwo! Nur wir beide, Katinka! «
Flori und ich im Jugendhotel. Wir, wie wir auf einem Schlitten einen steilen Hang runtersausen. Hand in Hand im Winterwald. In inniger Umarmung unter einer verschneiten Tanne. Flori, wie er meine eiskalten Hände wärmt. Küsse unterm Sternenhimmel. Pures Glück. Voll der Wahnsinn … »Es wäre himmlisch«, flüsterte ich. »Nur leider geht es nicht. Nicht mehr.«
»Aber warum denn? Wenn wir jeden Tag so viel einnehmen wie bisher, ist das doch kein Problem.«
»Es ist wegen Popeye.«
»Popeye, dem Hund?«
»Er frisst nichts, wenn einer aus der Familie fehlt. Würdest du wollen, dass er verhungert?«
Flori schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht! Aber verzichtest du nur wegen eines Hundes auf unser Glück?«
Nur wegen eines Hundes … ! »Ich liebe Popeye.«
»Liebst du ihn mehr als mich?«
Ich hielt die Luft an. »Das ist eine fiese Frage.«
»Finde ich nicht.«
»Mensch, Flori! Bei Popeye geht es um Leben oder Tod! Kapierst du das denn nicht?«
»Ehrlich gesagt … Nein, das kapiere ich nicht. Wie kann man einen Hund mehr lieben als einen Menschen?«
Irgendwie war das eine falsche Frage. Nur – wo war der Haken? »Flori …!« Ich war verzweifelt.
»So schnell verhungert ein Hund nicht. Wir wären ja nur ein paar Tage weg.«
Ich war hin und her gerissen. Klar, Popeye würde es zwei, drei Tage ohne Fressen aushalten. Ganz abgesehen davon, dass er bei den sehr vielen Leuten im Haus meine Abwesenheit vielleicht nicht mal bemerken würde. Dann wäre der Verzicht auf ein Fest mit Flori das Blödeste der Welt und überhaupt total unnötig.
Ich hatte nicht bemerkt, dass die Bahn langsamer fuhr. »Gleich muss ich aussteigen«, sagte Flori leise. »Katinka …«
Die Bahn hielt. Flori stand auf. Ich schaute auf meine Hände.
»Katinka?! Weihnachten nur wir beide … Sag, dass du das auch möchtest. Bitte!«
Was hatten die Zwillinge gesagt? » Weihnachten ohne uns überlebst du nicht.« Und: » Ohne dich ist Weihnachten für uns aber auch im Eimer.« Popeye. Daisy. Line und Lene. Mama und Papa, Opa Menno und alle anderen … Ich presste die Hände zusammen; als ich den Plan ausheckte, dachte ich nur daran, was ich vermeiden wollte. Jetzt ahnte ich, worauf ich verzichten würde, vor allem aber: Meine Leute wären todunglücklich, wenn ich einfach abhauen würde. Und Popeye würde in den Hungerstreik treten.
»Ich liebe dich, Flori, ich werde dich nicht im Stich lassen, du kannst alles Geld haben, das wir verdienen, wirklich! Aber meine Familie – «
Flori presste den Kasten mit seiner Trompete fest an die Brust. » – ist dir wichtiger als ich es bin. Sogar deinen Köter liebst du mehr als mich! Gib’s zu, Katinka.«
Damit drehte er sich um und stürzte aus der S-Bahn.
15. Dezember
L iebeskummer raubt den Schlaf, verdirbt den Appetit, lässt Pickel sprießen und Haare fetten, macht das Aussehen kaputt, tötet den letzten Nerv und ist generell Gift für dich. Aber es gibt Abstufungen: Der Liebeskummer um Daniel, meinen fiesen Ex-Freund, war nichts im Vergleich zu meinem Liebeskummer wegen
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