Schneeballflirt und Weihnachtszauber
Flori.
Als der Wecker klingelte, fragte ich mich, ob ich überhaupt geschlafen hatte. Im Bad schaute ich in ein Gesicht mit fahlem Teint und todtraurigen Augen. Das Frühstück bestand für mich aus einer Tasse Tee. Line und Lene schmierten mir zwar ein Honigbrot, aber wer hat schon Appetit auf etwas Süßes, wenn das Leben wie eine Wüste vor einem liegt?
Und dann erkundigte sich meine Mutter auch noch, ob wir nicht eine Englisch-Arbeit schreiben würden, Melli hätte etwas gesagt, aber sie wisse nicht mehr, ob die Arbeit in ihrer oder in meiner Klasse geschrieben würde – du lieber Himmel! Die Englisch-Arbeit! Wir schrieben sie, ich hatte sie komplett vergessen und natürlich nichts, aber überhaupt nichts gelernt.
Die Englisch-Arbeit war ein Desaster; als ich das Heft abgab, rechnete ich mit einer Sechs – vielleicht, im allergünstigsten Falle, mit einer Fünf bis Sechs.
Dann überlegte ich mir, ob ich heute lieber nicht auf den Marktplatz gehen sollte. Ich ging dann doch noch, weil, wie ich mir sagte, man den nackten Tatsachen nicht ausweichen kann. Offensichtlich war ich mutiger als Flori, denn Flori erschien nicht. Ich legte die Sterne aufs Kistchen, blies leise und wehmütig Kommet ihr Hirten und Ihr Kinderlein kommet und verkaufte einen Stern nach dem anderen.
»Ist dein Trompeter krank geworden?«, wollten meine Kunden wissen.
Ich nickte. »Er ist kummerkrank.«
»Liebeskummer?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er muss umziehen.«
»Dann kommt er wohl nicht wieder?«
»Keine Ahnung.«
»Schade.«
Nur schade? Es war verheerend! Für mich war’s der Super- GAU ! Weihnachten im Kreis meiner neugierigen, spottlustigen, mitleidigen Verwandten war ein Spaziergang im Paradies gegenüber einem Leben ohne Flori! Und wer war schuld an meinem Verlust? Ich! Ich ganz allein! Hätte ich nur gesagt Natürlich bist du mir wichtiger als jeder andere Mensch! Natürlich liebe ich dich mehr als Popeye!
Aber ich hatte es nun mal nicht gesagt, oder er wollte mich missverstehen – keine Ahnung. Jedenfalls saß ich nun hier und blies Trübsal. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Flori kam nicht.
Nach einer Stunde hatte ich alle Sterne verkauft, aber anstatt nach Hause zu gehen, hoffte ich auf ein Liebeswunder.
Vergeblich.
Weil ich so unglücklich war, achtete ich nicht auf meine Umgebung. Die Mundharmonika lag in meinem Schoß, ich spürte vereinzelte Schneeflocken auf meinem Gesicht, ich sah die Leute und den riesigen Christbaum auf dem Platz, ich hörte, wie sich Ferdi mit seinen Kunden unterhielt, ich roch die Würste auf dem Grill … aber wirklich war nur der Kummer in meinem Herzen.
Bis jemand einen Spazierstock aufs Pflaster stieß. »Katinka! Nimm die scheußliche Perücke vom Kopf! Und sag mir, was mit deinem Gesicht los ist! Hast du Zahnschmerzen? Oder warum sind deine Wangen geschwollen?«
»Opa Menno!«
»Wenigstens sind deine Augen in Ordnung!«
»Was tust du hier?«
»Ich«, Opa Menno schaute sich vorsichtig um, »ich hoffe, niemand erkennt mich. Das wäre mir doch sehr peinlich, Katinka. Was denkst du dir eigentlich, dich wie ein heimatloser Bettler auf den Marktplatz zu stellen? Die Leute vermuten ja, du würdest zu Hause nicht genug zu essen und zu trinken bekommen.«
»Jetzt streitest du auch noch mit mir, Opa Menno!«
»Ich streite nicht«, entgegnete er milder. »Ich lade dich zu einer heißen Schokolade ein.«
»Ich komme nur mit, wenn du mich nicht ausfragst«, drohte ich ihm.
»Wenn ich dir keine Fragen stelle, ziehst du dann dieses –« Er beäugte das Nachthemd, » – scheußliche Flattergewand aus?«
»Einverstanden.« Die Sterne waren verkauft; nur herumzusitzen und in der Kälte auf Flori zu warten machte wirklich keinen Sinn.
Bevor Opa Menno ins Marktcafé ging, schaute er durchs Fenster. »Keine Bekannten«, stellte er erleichtert fest. »Nur alte Leute. Na, wenigstens bin ich in Begleitung meiner flotten Enkelin.«
Er bestellte Schokolade für mich und einen Kaffee für sich. »Omi Anni, Katrin und deine Mutter haben mich aus dem Haus gejagt. Das bei dem Wetter – unglaublich!«
»Warum denn das?«
»Sie backen. Ich war ihnen im Weg.«
Ich nickte verständnisvoll. »Hast du Teig genascht?«
»Nur ein bisschen«, gab er zu und zog seine Pfeife aus der Jackentasche. »Sag mal, darf man hier rauchen?«
»Dazu musst du vor die Tür.«
Er legte die Pfeife demonstrativ auf den Tisch und blinzelte mir listig zu »Soll ich’s drauf ankommen lassen?«
»Opa Menno, du bist
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