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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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der jemanden verloren hatte, desjenigen, dem alle Aufmerksamkeit galt.
    »Mein Beileid«, sagte er. Es fiel ihm nichts anderes ein, wurde sich bewusst, dass diese Worte kaum irgendeine Bedeutung hatten, er hätte ihr genauso gut eine vorformulierte Kondolenzkarte aus dem Blumenladen schicken können.
    »Danke.« Sie spielte mit, wusste, dass es nicht einfach war, in dieser Situation die richtigen Worte zu finden.
    »Wie starb er?«
    »Nun … wir waren an einem Samstagabend in einer kleinen Kneipe in Patreksfjörður. Er …« Er, Ágúst. Sie zögerte, es war, als ob sie seinen Namen nicht laut aussprechen konnte. »Er geriet in Streit mit einem Mann – es war niemand aus dem Dorf – der sehr betrunken war. Er bekam einen Schlag ab, fiel zu Boden und … erwachte nie wieder.«
    Dann fügte sie hinzu: »Es war nur ein einziger Schlag.«
    In ihrem Blick lag immer noch ein gewisses Zögern, doch Ari hatte das Gefühl, dass sie erleichtert war, darüber gesprochen zu haben.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er. »Sehr leid.«
    »Danke.«
    Sie stellte die Kaffeetasse von sich weg und schaute auf die Uhr.
    »Ich will dich nicht den ganzen Abend hier aufhalten.«
    Es lag eine auffallende Veränderung in der Leichtigkeit ihrer Stimme. »Sollen wir uns nicht den Noten zuwenden?«
    »Doch, unbedingt – ich muss versuchen, mir ins Gedächtnis zu rufen, was wir letzte Woche besprochen haben … Das wird ja was werden!«
    Er setzte sich ans Klavier und legte seine Hände auf die Tastatur.
    »Nein, das ist nicht richtig«, sagte Ugla, umfasste zärtlich seine rechte Hand und korrigierte sie ein wenig. Ihm wurde warm bei der Berührung, er spürte einen heißen, angenehmen Strom von ihr ausgehen.
    »Danke, das ist besser«, sagte er. Auf einmal kam es ihm vor, als ob Kristín viele tausend Kilometer von ihm entfernt wäre.

11. Kapitel
    Er hob die Stimme und fragte erneut, wo das Geld versteckt sei; laut genug, um sie zu verängstigen, aber nicht laut genug, dass man es draußen auf der Straße hätte hören können. Sie hatte ihm gleich ihr Portemonnaie gegeben, als er das erste Mal danach gefragt hatte; es steckte immer noch in ihrem Mantel, als sie vorhin den Reis geholt hatte.
    Den Reis? Hatte sie ihn in der Aufregung etwa draußen vergessen? Sie wies solche Überlegungen von sich, verwundert darüber, wie sie überhaupt in diesem Moment an den Reis denken konnte.
    Er hatte kurz einen Blick in ihr Portemonnaie geworfen, hatte erkannt, dass es da drin nur wenig Bargeld gab, und dann erneut gefragt, wo zum Teufel denn das Geld sei.
    Sie schüttelte nur den Kopf. Dann fragte er nach dem Tresor.
    Noch immer schüttelte sie den Kopf, doch ihr Blick verriet sie. Er war anscheinend auf den Geschmack gekommen, wie eine Katze auf der Jagd.
    Er trat einen Schritt auf sie zu, setzte ihr das Messer an den Hals und sagte, dass er ihr nur eine einzige Gelegenheit gäbe, um zu antworten. Falls sie ihm weismachen wolle, dass es hier keinen Tresor gäbe, würde er die Sache gleich beenden – ohne Umschweife –, sagte, dass sie in diesem Fall völlig nutzlos für ihn sei, ob sie nun eine Lügnerin oder mittellos sei.
    Sie antwortete, ohne zu zögern, und führte ihn den Weg die Treppe hinunter, den Flur entlang, der von der Eingangshalle abzweigte, und dort in die kleine Rumpelkammer hinein. Der Tresor wurde sichtbar, als er das Licht anknipste – eine schwache Birne erleuchtete den kleinen Raum; der Tresor war groß und solide.
    Er schaute sie an.
    Sie antwortete schnell, bevor er ihr die Frage stellen konnte, dass sie aber die Zahlenkombination nicht kenne; er müsse warten, bis ihr Mann nach Hause käme.
    Er hob erneut das Messer. Ihr Herz schlug wie noch nie zuvor.
    Wahrscheinlich rettete ihr das Telefon in diesem Augenblick das Leben oder verlängerte es zumindest.

12. Kapitel
    Siglufjörður,
    Heiligabend 2008
    »Frohe Weihnachten, Meister!«, rief Tómas, kurz bevor er die Tür hinter sich schloss und in die Kälte hinaustrat. Ari wollte den Gruß erwidern, hörte aber, wie Tómas zusperrte. Das ergab natürlich keinen Sinn, jemandem einen Weihnachtsgruß hinterher zu rufen, den keiner außer ihm selbst hören konnte. Er saß alleine an seinem Computer auf der Wache, kleine Girlanden hingen hier und dort von der Decke herab, abwechselnd rot und weiß, und am Eingang stand ein künstlicher Weihnachtsbaum, geschmückt mit billigen, goldenen Weihnachtskugeln – das war immerhin etwas, das auf der Wache Weihnachtsstimmung

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