Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
Vom Netzwerk:
verbreitete. Vielleicht reichte das ja auch, es war nicht zu erwarten, dass die Wache über die Feiertage voll von Leuten sein würde. Ari war der Einzige, der Weihnachten dort bestreiten würde. Von Mittag am Heiligen Abend bis Mittag des Weihnachtstages. Eine einsame, aber ordentlich bezahlte Zusatzschicht, und er konnte das Geld ganz gut gebrauchen – eigentlich musste er dankbar sein, überhaupt eine Arbeit zu haben in der Situation, in der sich das Land befand.
    Natürlich war das nicht die Art, Weihnachten zu feiern, die er sich vorgestellt hatte, zumal er und Kristín ja noch nicht lange zusammen waren.
    Wohnten sie denn eigentlich überhaupt noch zusammen? Das war wirklich eine gute Frage. Er war in einen anderen Landesteil gezogen, und nichts deutete darauf hin, dass sie ihm dorthin folgen würde. Es war ein schwacher Trost, dass sie noch immer in seiner kleinen Wohnung in Reykjavík wohnte. Aber diese Wohnung konnte man nicht gerade sein Zuhause nennen, und Siglufjörður war zu weit weg, um für Kristín als Zuhause zu gelten.
    Er hatte schon das Bedürfnis, ihr eine Mail zu schreiben, sie anzurufen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Eigentlich müsste
sie
ihn anrufen. Er war es schließlich, der allein und verlassen in einem abgelegenen Kaff saß, fernab von allen, die ihm lieb und teuer waren.
    Umgeben von Girlanden.
    Vor dem Fenster schneite es ununterbrochen. Ari schaute abwechselnd auf den Bildschirm und den Schnee. Er änderte ab und zu die Angaben auf der Website, doch es war offensichtlich, dass nur wenige Kollegen im Dienst waren und es immer weniger aktuelle Nachrichten gab, je länger der Tag fortschritt. Einmal ging er vor die Tür, um frische Luft zu schnappen – die Luft war hier oben im Norden reiner als in Reykjavík, darüber bestand kein Zweifel – und um den Schnee vor dem Eingang wegzuschaufeln. Er wollte nicht in die Situation geraten, am Mittag des Weihnachtstages aus dem Fenster klettern zu müssen, denn natürlich musste er für jeden Einsatz bereit sein, falls ein Anruf käme.
    Ari rief sich die Worte von Tómas in Erinnerung.
    Hier passiert nie etwas.
    Die Tage waren bisher ziemlich eintönig verlaufen – bestanden vor allem aus Verkehrskontrollen und einigen wenigen anderen Einsätzen. Der einzige große Fall, den Ari hatte übernehmen müssen, war ein Unglück, das auf hoher See passiert war, als ein Besatzungsmitglied sich den Fuß gebrochen hatte. Ari war gebeten worden, die Besatzung zu vernehmen. Er versuchte, den Unfallhergang gewissenhaft schriftlich festzuhalten, hatte aber damit zu kämpfen, den Gedankengang zu verstehen. Möglicherweise bemühten sich die Besatzungsmitglieder darum, Ausdrücke aus der Seefahrt zu verwenden, von denen sie wussten, dass ein Junge aus dem Süden, der nie zur See gefahren war, keine Chance hatte, sie zu verstehen. Er machte ihnen allerdings nicht die Freude, Erklärungen zu erbitten.
    Er schaute zum Fenster hinaus, es lag eine friedliche Stimmung über dem Dorf.
    Er war am Tag zuvor bei dem kleinen Bücherladen vorbeigegangen, am 23 . Dezember, dem Tag des heiligen Þorlákur, und hatte sich ein neu erschienenes Buch gekauft, das auf seiner Wunschliste für Weihnachten gestanden hatte. Er wusste genau, dass er keinem anderen außer sich selber trauen konnte auf diesem Gebiet; die Wunschliste gab es nur in seinem Kopf, und nicht einmal Kristín hatte die richtigen Bücher erraten können, als sie ihm letztes Jahr zu Weihnachten Bücher geschenkt hatte. Er kaufte sich jeweils vor Weihnachten ein Buch selbst, das Buch, das er sich am meisten wünschte. Er hatte sich vorgenommen, das Beste aus der Situation zu machen, auch wenn auf der ungemütlichen Polizeiwache nur sehr beschränkt Weihnachtsstimmung herrschte.
    »Du darfst gerne um sechs Uhr zu dir nach Hause gehen, um in Ruhe und Frieden dein Weihnachtsessen zu genießen, wenn du nur das Telefon mitnimmst«, hatte Tómas gesagt. Es gab allerdings zu Hause nichts, das auf Ari wartete, außer vier Wänden und Schweigen, so dass er schnell eine Entscheidung getroffen hatte. Es gab keinen Grund, nach Hause zu gehen, um dort alleine zu essen. Stattdessen hatte er morgens einen Braten zubereitet, ihn in Alupapier gewickelt und zusammen mit zwei Dosen Weihnachtsbier in eine Tüte gepackt, eine große weiße Kerze, das Weihnachtsbuch, das er gekauft hatte, und eine geliehene Weihnachts- CD aus der Bibliothek dazu gelegt.
    Dieses Mal lagen unter dem Weihnachtsbaum keine Geschenke. Nicht

Weitere Kostenlose Bücher