Schneebraut
dass Pálmi stets liebevoll an seinen Vater dachte. Sie hatte seinen Vater geliebt, zumindest damals.
Es war aber nicht einfach für sie gewesen, mit einem Kind in diesen schweren Zeiten allein und verlassen in einem abgeschotteten Fjord im Norden des Landes zurückzubleiben. Sein Vater war dann in der Großstadt an Tuberkulose erkrankt, wie so viele andere, und viel zu früh verstorben, gerade mal ein gutes Jahr, nachdem er ins Ausland gezogen war.
Pálmi war in der Grundschule beliebt gewesen. Versah seinen Beruf mit Eifer und verbrachte die Sommerferien zum größten Teil mit Bergtouren und Reisen über das Hochland. Er war sein ganzes Leben lang nur dreimal ins Ausland gefahren, jedes Mal auf Schulexkursion mit seinen Schülern. Er verspürte kein besonderes Bedürfnis, die Welt zu bereisen. Diese Gene hatte er wohl von seiner Mutter geerbt – sie war äußerst bescheiden gewesen, hatte ihr ganzes Leben sehr sparsam gelebt, jede Krone zur Seite gelegt. Deswegen war Pálmi sehr überrascht gewesen, als er erfuhr, dass das Erbe gerade einmal knapp für die Beerdigung ausreichte.
Pálmi war seit jeher ein großer Einzelgänger gewesen. Ein geschickter Lehrer, doch es fiel ihm schwer, außerhalb der Arbeit Freunde für sich zu gewinnen. Auch die Liebe hatte allzu lange auf sich warten lassen, viel zu lange – nun war es wohl zu spät, nicht wahr? Vielleicht war es seine eigene Schuld; er hatte gezögert – hatte den Schritt nicht gewagt. War in jüngeren Jahren verliebt gewesen, hatte die Gelegenheit aber sausen lassen. Traute sich nicht. Dachte manchmal mit Trauer und Reue zurück – versuchte aber dennoch, den Schmerz nicht jeden Tag überhandnehmen zu lassen. Sozusagen von Natur aus hatte er es sich angewöhnt, nicht zu oft zurückzuschauen; das war einfach zu schmerzhaft.
Was seine sämtlichen Gedanken in Anspruch genommen hatte, seitdem er pensioniert war, war das Schreiben. Er erwachte früh morgens, in aller Herrgottsfrühe, und schrieb jeden Tag ein wenig in seinem Büro, am Fenster, mit der Aussicht über den Fjord. Nach dem Abendessen setzte er sich erneut an den Computer, der zwar alt war, aber seinen Zweck noch erfüllte, und schrieb noch eine Stunde oder länger. Im Winter, wenn die Abende dunkel und manchmal schwer waren, hatte er die Gewohnheit, ein paar Teelichter anzuzünden und sie vorsichtig in alten Marmeladegläsern auf das Fensterbrett zu stellen. Wenn er vor dem Computerbildschirm saß, schaute er manchmal durch die bezaubernde Hitze, die von den Kerzen ausströmte in die Dunkelheit, auf das Meer und die Halbinsel auf der anderen Seite des Fjords hinaus.
Er war schon weit gekommen mit seinem Roman und hatte nebenher noch drei Theaterstücke verfasst. Es ging ihm leicht von der Hand, die Stücke zu schreiben. Sie waren eine leichte und angenehme Abwechslung von seinem Roman. Das Erste war eine Art Farce, das Nächste schon ein bisschen dramatischer und das Dritte – und das beste, wie ihm schien – war sogar ziemlich dramatisch, aber doch immer wieder mit einer witzigen Pointe dazwischen versehen. Das war es, was die Leute wollten. Lachen und weinen gleichzeitig. Sein neuestes Werk hätte am Samstag uraufgeführt werden sollen.
Er stand an der Brücke und schaute über die Mitte des Fjords.
Seine Gäste waren noch nicht wach. Die alte Frau und ihr Sohn. Warum, verflixt nochmal, hatte sie unbedingt zu Besuch nach Island kommen müssen? Sie übernachtete bei ihm im Souterrain – neunzig Jahre alt, auf Pilgerfahrt in Island in der Begleitung ihres Sohnes. Hatte ihn nur aus einem einzigen Grund gebeten, bei ihm zu Gast sein zu dürfen: weil sie nämlich seinen Vater während dessen Jahr in Dänemark gekannt hatte. »Ich möchte unbedingt die Gelegenheit nutzen, um Siglufjörður zu besuchen, dein Vater hat von diesem Ort immer so schön geredet«, hatte sie am Telefon in ihrem klaren Dänisch gesagt. Pálmi sprach selbst ganz gut Dänisch, nachdem er die Sprache jahrzehntelang unterrichtet hatte. Er hatte sie gewarnt, dass man zu dieser Jahreszeit mit jedem Wetter rechnen müsse – dass es nicht sicher sei, dass sie es bis nach Norden schaffen würden. »Ich muss es halt einfach versuchen – ich möchte den Fjord mit eigenen Augen sehen, bevor ich sterbe. Ich werde zu Silvester in Reykjavík sein – möchte mir die Feuerwerke ansehen«, sagte sie mit kindlicher Vorfreude. »Dürfen wir dich gleich nach Neujahr ein paar Tage besuchen … falls das Wetter es zulässt?«
Was konnte er
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