Schneebraut
der Bühne stand. Es machte den Anschein, als ob er sein ganzes Leben darauf gewartet hätte, diese Worte zu sagen, so impulsiv wie er wirkte.
The show must go on
.
Ugla saß in der Nähe der Bühne. Karl und Pálmi saßen nicht weit von ihr. Nína war etwas zu spät gekommen und hatte sich neben Pálmi hingesetzt. Leifur stand an der Wand und schien mit seinen Gedanken woanders zu sein. Úlfur hatte es anscheinend nicht geschafft, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken.
Anna hatte darauf geachtet, sich so weit wie möglich von Karl weg zu setzen.
»Wir haben Hrólfur heute verabschiedet, aber er wird auch weiterhin über uns wachen«, sagte Úlfur. Anna erkannte sofort, dass er nicht dafür geboren war, auf der Bühne zu stehen. Er wirkte nervös, die Hände waren ständig in Bewegung, er schaute in alle Richtungen, meistens aber vor sich hin. »Hrólfur hätte sich gewünscht, dass wir weitermachen. Ich schlage vor, dass wir die Premiere für nächstes Wochenende ansetzen, am Samstag. Wir halten diese Woche eine Generalprobe ab und zeigen dann das beste Stück, das Siglufjörður jemals gesehen hat. Ich habe vorhin mit Kalli geredet – er will weitermachen und die Hauptrolle spielen, wie gehabt, trotz …« Er zögerte. »Ja, trotz des … Angriffs auf Linda. Das ist ein Zeichen großer Willenskraft, muss ich schon sagen; ich bewundere ihn regelrecht dafür.« Er schaute Karl an und lächelte ihn warmherzig an, erhielt aber keine Reaktion.
Keiner sagte ein Wort.
»Nun, also – dann wollen wir uns am Donnerstag hier wieder treffen. Für die Generalprobe. Noch irgendwelche Fragen?«
Es herrschte einen Moment Schweigen, dann erhob sich Anna und sagte mit leiser Stimme, aber doch so deutlich, dass es im Saal klang:
»Ich habe vorhin die Nachricht gelesen, dass irgendeine Quelle, irgendeine Person gesagt haben soll, dass Hrólfur hinter eine Sache gekommen sei, die er nicht hätte wissen sollen. Es wurde auch vage darauf hingewiesen, dass er vielleicht geschubst worden ist.«
Úlfur erschrak, schüttelte blitzschnell den Kopf und murmelte: »Was für ein Schwachsinn! Was für ein Schwachsinn!« Fügte dann aber hinzu: »Ist das nicht einfach eine Verleumdung? Vermutung? Die Leute lassen sich ja so manches einfallen, wenn ein landesbekannter Mann unter solchen, tja, solch ungewöhnlichen Umständen stirbt.«
Karl hob den Blick und schaute Anna wütend an. Sie bemerkte sofort, welche Nachricht er ihr zukommen lassen wollte:
Wir sollten keine Aufmerksamkeit auf irgendwelche möglichen Geheimnisse lenken
.
Úlfur nahm ein Taschentuch hervor und trocknete seine Stirn. »Sollen wir dieses Meeting also für beendet erklären? Wir sollten jetzt nach Hause gehen, bevor die Straßen gänzlich unpassierbar werden.«
Anna stand auf. Ihr Handy klingelte. Unbekannte Nummer. Sie antwortete:
»Ja … ich werde nachher zu Hause sein«, antwortete sie. »Hast du die Adresse … Ja, ich wohne im Keller.«
Der Schweiß trat ihr auf die Stirn, ihre Fingerkuppen wurden feucht. Die Polizei.
Waren sie etwa hinter ihre Affäre gekommen?
Falls nicht, sollte sie dann vielleicht die Gelegenheit nutzen, um die Polizei nach Kalli auszufragen? Sie musste sich seiner sicher sein. Sollte sie die Lebensversicherung erwähnen? Das könnte ihn in arge Verlegenheit bringen … aber nur, wenn er schuldig war.
Sie musste sich sicher sein.
31. Kapitel
Siglufjörður,
Samstag, 17 . Januar 2009
Die Straßenverhältnisse forderten dem kleinen Polizeigeländewagen alles ab. Wäre es vielleicht nicht doch besser gewesen, zu Hause zu bleiben und nach und nach im Haus eingeschneit zu werden, während die Schneewehen höher und höher wurden? Die Häuser sahen im Schneetreiben alle gleich aus, verschwommene Einfamilienhäuser hinter dichtem Schneegestöber. Nach einem misslungenen Versuch, bei dem Ari den Wagen bereits geparkt und dann gesehen hatte, dass es die falsche Hausnummer war, fand er zum Schluss das richtige Haus. Es schien ziemlich geräumig zu sein; ein Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken, einem Keller und einer Doppelgarage.
Es gab keinen Zweifel daran, dass Anna nervös war wegen seines Besuchs, obwohl sie ihr Bestes tat, um es zu verbergen. Sie begrüßte ihn mit Handschlag, mit verschwitzter Handfläche und einem künstlichen Lächeln; der Blick war unstet, sie vermied es, ihm direkt in die Augen zu sehen.
Die Kellerwohnung war klein und eher düster, alle Fenster waren verdunkelt.
»Es ist am besten, die Vorhänge
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