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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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ihren jugendlichen Liebreiz und Glanz so schnell verloren, während sie beinahe verzweifelt versuchten, den Verfall mit allerlei Salben und Schminke aufzuhalten? Ach, wie stimmte mich das jedes Mal melancholisch, und einmal mehr pries ich mich selbst glücklich, dass ich am Ende tatsächlich das Siegerlos gezogen hatte, denn Katja sah, ungeschminkt, so aus, als stünde sie in den Startblöcken, um die Welt zu erobern.
    Toon redete auf eine seiner hübschesten Studentinnen neben ihm ein. Während die sowieso schon großen Augen des Mädchens noch größer wurden, sagte er: »Anders als bei Tieren mit ausgeprägter Erbkoordination müssen reduzierte Aktionen von nicht instinktiv agierenden Tieren doch nicht minimal sein?«
    Sogar während der Beerdigung, auf dem Flur der Aussegnungshalle, ging der Unterricht weiter! Das Mädchen murmelte etwas, das ich nicht verstand, und dann war wieder seine hohe, weit tragende Stimme zu hören. Ungeduldig sagte er: »Ist dir nicht klar, dass es hier um verhältnismäßig einfache Punktprozesse geht, die man innerhalb der vorgegebenen Gebietsgrenzen als recht undifferenzierte Semimarkowketten betrachten kann, mit denen sich rechnerisch hervorragend arbeiten lässt?«
    Die Türen der Einsegnungshalle öffneten sich, und wir schlenderten langsam nach vorn. Ich hörte Toon hinter mir noch über »rein arbiträre Grenzen, die für Erbkoordinierte gezogen werden«, und über eine »Matrix, innerhalb deren minimale stochastische Moore-Vorstellungen vollkommen bestimmt werden durch die Summe der Verhaltensereignisse, unbeschadet der Namen, die wir diesen Situationen geben«, sprechen. Während ich einen Fuß vor den anderen setzte, dachte ich erheitert: So muss man es also machen! Man überschüttet jeden mit einem vollkommen unverständlichen Jargon, und weil sich niemand anmerken lassen will, dass er dieses Gerede von stochastischen Moore-Vorstellungen und Semimarkowketten nicht versteht, wird man zum Professor für Biomathematik ernannt.
    Nach der Beerdigung wurde der Unterricht nicht nur einfach fortgesetzt, ich wurde auch noch miteinbezogen. Als er auf den Ausgang der Einsegnungshalle zusteuerte, hörte ich Toon in meinem Rücken zu dem Mädchen sagen: »Selbst erbkoordinierte Tiere können nicht in die Zukunft sehen.«
    Mir war jedoch kaum die Zeit vergönnt, in Lachen auszubrechen, denn Toon tippte mir auf die Schulter: »Darf ich dir Lorna Meijvogel vorstellen? Bevor sie bei mir ihre Diplomarbeit in Biomathematik schreibt, wäre ihr enorm gedient, wenn sie zuerst etwas randomisierte Praxiserfahrung mit zufälligen und erbkoordinierten Tieren sammeln könnte, und wo ginge das besser als in der Parasitologie, wo beide Arten von Organismen innerhalb der vorgegebenen Grenzen optimal vorhanden sind, wenn wir die dort sehr gut realisierbaren, sauberen Randombedingungen berücksichtigen?«
    Ich gab der jungen Frau die Hand und betrachtete sie eingehend, denn wenn ein Student für Forschungen ins Labor kommt, dann arbeitet man mindestens sechs Monate mit ihm zusammen. Sie war hellblond und erinnerte mich an Frederica in ihren besten Tagen. Am liebsten hätte ich zu Toon gesagt: »Gibt es nicht woanders erbkoordinierte Tiere für dieses allzu attraktive Mädchen?«
    Mein skeptischer Blick entging ihr nicht. Mit ironischem Unterton sagte sie: »Gefalle ich Ihnen nicht? Das ist schade, denn man bekommt nie eine zweite Chance für einen ersten Eindruck.«
    Und so kam es, dass Lorna unter meiner Leitung an unserem Institut über die erbkoordinierte Schlupfwespe Mellitobia forschte.

Natternzunge
    S o wie man eigentlich nie, außer vielleicht in der Oper, einen Schlafwandler trifft, so trifft man eigentlich auch niemals ein Mädchen, das den Rufnamen Lorna trägt. In Romanen stößt man manchmal auf diesen Namen, in Charakter von Ferdinand Bordewijk etwa, aber im echten Leben? Als ich das erste Mal in ihrer Wohnung war, lag dort ein Buch mit dem Titel Lorna Doone . Sie erzählte mir, sie habe es wegen des Titels für einen Euro aus dem Antiquariat mitgenommen.
    »Hast du es auch gelesen?«
    »Ich bin keine große Leserin.«
    »Würdest du es mir leihen?«
    Also las ich Lorna Doone von Richard D. Blackmore. Das Buch ist ein altmodischer Schmöker. Ein Bauernsohn kämpft in Devonshire gegen ein Raubrittergeschlecht, verliebt sich dabei aber in die Raubrittertochter. Dann stellt sich heraus, dass die Tochter als Baby gestohlen wurde. Sie ist von schottischem Adel. Also kann der Bauernsohn, Ende gut,

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