Schneeflockenbaum (epub)
beunruhigt, und zuckersüß sagte sie zu ihm: »Ihr herrlicher Hund hat ein Auge auf uns geworfen, leider haben wir keine Zeit für ihn.«
»Ich werde ihn an die Leine nehmen«, sagte der Mann und schimpfte mit dem Hund: »Pfui, Jan Peter, benimm dich.«
»Er meint es nicht böse«, sagte Lorna, ging auf das Untier zu und kraulte es unterm Kinn. Selig schloss Jan Peter die Augen.
Als der Mann aus unserem Blickfeld verschwunden war, erklärte sie lakonisch: »Willst du dich beim Herrchen einschleimen, dann streichele den Hund.«
Mit Hunden hatte sie’s. »Wir besaßen früher einen Papagei, der sprechen konnte, und als mein Vater für sechs Monate nach Oman musste und die Familie ihm folgte, da brachten wir den Vogel schweren Herzens ins Tierheim, weil wir niemanden fanden, der in der Zwischenzeit für ihn sorgen wollte. Als wir wieder zurückkamen, holten wir den Papagei aus dem Tierheim ab. Er war total froh, uns zu sehen, aber gesprochen hat er nie wieder. Wohl aber konnte er auf sieben verschiedene Arten bellen.«
Ich war schon verheiratet, und Lorna hatte einen mehr oder weniger festen Freund – tja, welches nicht allzu unattraktive Mädchen von zwanzig hat keinen Freund? –, daher dauerte es recht lange, bis das passierte, worauf ich es nie angelegt hatte, was aber, im Nachhinein betrachtet, aus ihrer Leidenschaft für wilde Pflanzen logischerweise erblühen musste und das etwas Unvermeidliches hatte, weil wir jede freie Minute dazu nutzten, in diesem herrlichen Frühling mit all dem Tirilieren von Amseln, Drosseln, Blaumeisen und Rotkehlchen in der Luft zusammen unterwegs zu sein.
Es geschah eines Abends in der langen Frühlingsdämmerung des wunderschönen Monats Mai. Katja unterrichtete bis zum späten Abend in der Musikschule. Sie hatte nicht einmal Zeit, zwischendurch nach Hause zu kommen und einen Happen zu essen. Ich musste also nicht heim, um zu kochen, und so kam es, dass Lorna und ich um fünf, nach der Arbeit im Labor, bei Woo Ping einen Teller Nasi Rames aßen, um anschließend mit dem Rad zur Ruige Kade in Leiderdorp zu fahren. Dort wuchs noch Krebsschere in den breiten Entwässerungsgräben, und über einer der Rosetten hingen wie Hubschrauber ein paar Trauerseeschwalben mit schnurrenden Flügeln. Hier und da leuchteten die weißen Blüten des Froschbisses inmitten der Krebsschere.
»Krebsschere duldet praktisch keine anderen Pflanzen neben sich«, erklärte ich, »nur Froschbiss manchmal und hier und da ein paar Stängel Hornblatt. Krebsschere ist keine Landpflanze und auch keine Wasserpflanze, aber sie ist auch keine Sumpfpflanze, sondern eine Kategorie für sich, und wenn du nahe genug rankommst, findest du meistens schöne Rüsselkäfer darauf. Und Mosaikjungfern leben selten woanders. Weil die Pflanze so ein Einzelgänger ist, gibt sie der geschlechtlichen Fortpflanzung auch nicht den Vorzug. Sie vermehrt sich asexuell. Ach, Klonen und Pfropfen sind sehr viel bequemer, selbstverständlicher, und Millionen von Jahre ist dies auch praktiziert worden. Sexuelle Fortpflanzung ist die verzweifelte Antwort der Natur auf den allgegenwärtigen Parasitismus.«
Plötzlich tauchte eine Mosaikjungfer zwischen den Blättern auf und unternahm einen Probeflug. Ihre Flügel raschelten.
»Da ist eine«, sagte ich. »Früher hielt man sie für die Engel der Göttin Freia. Aber dann kamen die Bonifatiusse, und leider wurden längst nicht alle von denen ermordet. Auf einmal erklärte man Libellen zu Satansnadeln, Teufelspfeilen und Augenausstechern, und das nur, weil sie eine Rolle in der germanischen Götterwelt spielten. Die Christen behaupteten auch, sie hätten einen Giftstachel.«
Wir radelten weiter. Über den Wiesen kapriolten die Kiebitze und jagten hintereinander her. Irgendwo meinte ich auch einen Rotschenkel zu hören. Am Horizont glitten die Silhouetten von Kormoranen vorüber. Singvögel hörte man keine mehr, sogar die Amseln schwiegen.
»Warst du schon mal am Wijde Aa?«, fragte ich sie.
»Nie davon gehört. Ein hohes a, das kenne ich.«
Wir stellten die Räder ab und gingen über die lange, schmale Holzbrücke.
Um sie zu necken, sagte ich: »Ziemlich bescheuert, einen Ort, wo seltene Orchideen und Natternzunge wachsen, mit jemandem zu besuchen, der eine Stängelumfassende Taubnessel nicht von Hohlzahn unterscheiden kann.«
»Dann gehen wir wieder.« Sie kehrte um.
»Nicht doch, komm mit.« Ich nahm sie bei der Hand.
»Deine Hand fühlt sich an wie die Rückseite einer
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