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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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Kinder. Aber lass uns aufhören, das ist keine angenehme Diskussion. So ein Pech, für mich warst du bis jetzt die Nummer einhundert, aber ... leider, leider, jetzt stellt sich heraus, dass du doch erst Nummer neunundneunzig warst, wie schade, du bist so fürchterlich nett, im Bett bist du phantastisch, du bist männlicher als all deine Vorgänger ... Wenn ich mit dir im Bett war, hatte ich das Gefühl, eine warme Brandungswelle sei über mich hinweggeströmt, das Meer ... das Meer ... frisch geborene Babys riechen so herrlich danach ... Ach, ach, wie kann man sich doch in einem Menschen irren, wer hätte das von dir gedacht. Bist du vielleicht ein ungewolltes Kind?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Dann verstehe ich nicht, woher dieser rabenschwarze Nihilismus kommt.« Gleichsam in einer Art Übersprunghandlung ergriff sie mein Geschlecht, das sich anstandslos mit Blut füllte, und sie sagte voller Bewunderung: »Du bist eine menschliche Form von Mellitobia . Ach, ach, der arme blinde Wurm, wenn er aus seinem Ei kriecht, dann hat er nur eines zu tun, nämlich vierhundert Weibchen zu befruchten. Und das auch noch innerhalb von einer Stunde. Welch ein bedauernswertes Ding!«
    Als wir wieder zu Atem gekommen waren, sagte sie, wobei sie warnend den Zeigefinger hob: »Wenn alle so denken würden wie du, dann würden überhaupt keine Kinder mehr geboren.«
    »Wäre das so schlimm?«
    »Dann würde alles zum Stillstand kommen.«
    »Na und? Der Letzte macht einfach das Licht aus. Danach wäre ein kolossaler Seufzer der Erleichterung zu hören.«
    »Ein Seufzer? Von wem?«
    »Von allem, was lebt. Wir trachten schließlich allem nach dem Leben. Der Mensch ist das verwerflichste Produkt der Evolution. Nichts ist ihm heilig, nichts ist sicher vor ihm, ausgenommen seine wahnwitzigen Religionen. Welch eine Wohltat, wenn er verschwände. Weg damit, um mit meiner Mutter zu sprechen.«
    Sie richtete sich erneut im Bett auf, stützte den Kopf auf dem rechten Arm ab und sah mich voller Erstaunen an.
    »Philosophen«, sagte ich, »bemühen sich immer, den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu bestimmen. Weißt du, was der größte Unterschied zwischen Mensch und Tier ist?«
    »Sag.«
    »Der Mensch ist das einzige Wesen, das es vollkommen selbstverständlich findet, die eigenen Artgenossen und auch alle anderen Wesen der Freiheit zu berauben, sie einzuschließen und gefangen zu halten, wobei er sie ganz nebenbei oft auch noch foltert, martert und quält. ›Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst‹, heißt es im 8. Psalm, ›du hast ihn wenig niedriger gemacht denn Gott.‹ Welch ein entsetzlicher Irrtum, das Gegenteil ist wahr. Der Mensch ist schlimmer als der Teufel, er geht über Leichen, um seine Ziele zu erreichen.«
    »Wie gut, dass es in Afrika so viele Hungersnöte gibt, bei denen jedes Mal Tausende von Kindern sterben, wie gut, dass Pol Pot Millionen über die Klinge hat springen lassen. Die Menschheit, weg damit, ja, ja, die Frohe Botschaft eines Mellitobia -Spezialisten. Ist es nicht höchste Zeit für dich, an allen Straßenecken auf eine Kiste zu steigen?«
    »Mein Evangelium für taube Ohren will keine Sau hören. Selbst du nicht.«
    »Nein, ich auch nicht.«
    »Du willst doch eine echte Biologin sein?«
    »Bekommen Biologen keine Kinder?«
    »Biologen setzen sich für den Umweltschutz ein. Kinderlosigkeit ist mit Abstand der beste Beitrag zum Umweltschutz. Nur mit einer sehr strikten Geburtenregelung wäre vielleicht noch was zu retten, aber wahrscheinlich ist es bereits zu spät.«

Schlangengrube
    N ach dem Abend mit dem Gedicht von Larkin war es leider nicht mehr wie vorher. Das Feuer war noch nicht ganz erloschen, aber die Flammen loderten weniger hoch. Hinzu kam, dass ihre Zeit bei uns im Labor vorbei war – über erbkoordinierte Tiere wusste sie inzwischen genug –, deshalb sah ich sie tagsüber nicht mehr, wodurch es schwieriger wurde, Verabredungen für den Abend zu treffen. Und dann wurde es auch noch Sommer, Katja hatte Ferien, und sie wollte, ebenso wie ich übrigens, nichts lieber als ins Hochgebirge reisen. Denn schließlich ist nichts schöner, als im Berner Oberland jenseits der Baumgrenze über einen dieser atemberaubend schmalen Bergpfade zu klettern. Überall dunkelblauer Enzian und die schönste Pflanze der Schöpfung, Alpenglöckchen, dazu Murmeltiere und das allgegenwärtige Geräusch leise plätschernder Bergbächlein. Als wir aus dem Berner Oberland zurückkamen, war Lorna unterwegs.

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