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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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Bei ihrer Rückkehr war plötzlich die Rede von einer vagen Beziehung zu irgendeinem Burschen, den sie während ihrer Reisen durch Osteuropa am Plattensee getroffen hatte. Auf einmal war es also aus zwischen Lorna und mir, übrigens ohne allzu großen Liebeskummer.
    Lange bevor es so weit war, geschah jedoch im Frühsommer etwas, das mich vollkommen überraschte. Auch wenn man noch so behutsam vorgeht, ist es fast unmöglich, vor den Augen der Welt zu verheimlichen, dass man ein Verhältnis hat. Eine Geste, ein Blick, ein halbes Wort können genug sein für jemanden, dessen Augen und Ohren weit offen stehen. Ich wollte meine Beziehung zu Lorna gar nicht verheimlichen, und Lorna wollte es noch viel weniger. Was ich aber vor allem verhindern wollte, war, dass Katja davon erfuhr. Außerdem wollte ich natürlich nicht, dass Jouri Wind davon bekam, was über der Zahnarztpraxis vor sich ging. Von Katja hatte ich, so schien es, wenig zu fürchten. Sie war nicht misstrauisch, ging in ihrem Unterricht auf und kam abends todmüde nach Hause. Wer hätte ihr dort an der Musikschule erzählen sollen, dass ihr Mann sie betrog? Unter all ihren Schülern war nicht einer, der Verbindungen zur Universität hatte.
    Jouri allerdings fürchtete ich sehr, um es biblisch auszudrücken. Wenn er erfuhr, dass ich etwas mit Lorna hatte, dann würde er sie mir, als wäre es ganz selbstverständlich, kurzerhand wegnehmen. Auch wenn die ganze Welt mir zugerufen hätte: »Er ist inzwischen älter und weiser geworden, so was würde er bestimmt nicht noch einmal machen!«, so war ich fest vom Gegenteil überzeugt. Einmal träumte ich, dass er mit Lorna in eine Fokker 100 stieg. Als das Flugzeug in der Luft war, verwandelte es sich in einen primitiven Doppeldecker. Knapp über meinem Kopf sauste er über mich hinweg, er winkte mir zu, und auf dem Sitz hinter seinem saß Lorna.
    Da erschien mir, in der Person von Frederica, ein Engel des Herrn, um mir etwas zu verkünden. Sie rief an und sagte: »Ich möchte in aller Ruhe etwas mit dir besprechen. Kannst du so bald wie möglich, wenn die Kinder in der Schule sind und Jouri im Institut, mal auf einen Kaffee vorbeikommen?«
    »Ich trinke nie Kaffee.«
    »Dann eben Tee.«
    »Worüber willst du mit mir sprechen?«
    »Eine dringende Angelegenheit.«
    An einem typisch holländischen Sommermorgen fuhr ich zum Wilhelminapark. Das Wetter war kühl und windig. Es nieselte, als ich das Haus verließ, doch als ich in Oegstgeest ankam, durchbrach eine wässrige Sonne die Wolkendecke. Unterwegs stieg mir – ein böses Vorzeichen? – wiederholt der starke Duft von Liguster in die Nase. Als ich dann, eine dampfende Tasse Tee vor mir, im Wintergarten saß, bemerkte ich, dass im Garten der gleiche Zierstrauch wie an der Binnensingel stand. Auch hier blühte er üppig, mit herabhängenden schneeweißen Dolden.
    »Was ist das für ein Strauch, der dort so wunderbar blüht?«, fragte ich Frederica. »So einen hatten deine Eltern doch auch im Garten?«
    »Ja, ich habe Samen mitgenommen. Fachleute meinten, ich würde es niemals schaffen, einen Strauch aus Samen zu züchten. Tja, wie du siehst, ist es mir gelungen. Kein Wunder, bei meinem tiefgrünen Daumen. Die Fachleute sind jedenfalls verblüfft.«
    »Wie heißt er?«
    »Ich dachte, du kennst alle Pflanzen.«
    »Ich kenne nur die Wildpflanzen. Von Gartenpflanzen und gezüchteten Pflanzen habe ich keine Ahnung. Professor Kalkman hat uns sogar verboten, uns damit zu beschäftigen.«
    »Das ist ein Schneeflockenbaum, Chionanthus virginicus . Manchmal wird er mit Halesia carolina verwechselt, dem Schneeglöckchenbaum.«
    Sie richtete sich auf und versperrte mir so die Sicht auf den üppig blühenden, wunderschönen Verlobungsbaum. Die Sonne verschwand wieder hinter den Wolken. Frederica stand im Gegenlicht, das jetzt beängstigend fahl in den Wintergarten fiel. Das verlieh ihr etwas Bedrohliches, etwas von einer Schicksalsgöttin.
    Sie sagte, und es schien plötzlich so, als stünde sie auf einer Kanzel: »Ich habe dich nicht hergebeten, um dir meinen blühenden Schneeflockenbaum zu zeigen. Es geht um etwas ganz anderes. Du hast ein Verhältnis mit einer deiner Studentinnen, mit einem Mädchen namens Lorna.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Im März, beim Begräbnis deines Chefs, hat Toon sie dir vorgestellt. Ich habe gleich gesehen, dass du hin und weg warst. Jouri hat es zum Glück nicht bemerkt. Einen Monat später fuhr ich abends mit dem Auto von Leiderdorp nach Hause.

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