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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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einen, so einen Mann mit einem furchtbar strengen Gesicht und einer Kassenbrille auf der Nase, komm, wie heißt der auch gleich ... der von der Moldau , oh ja, Smetana: Ich hab mal gehört, das ist das tschechische Wort für ›Schlagsahne‹; na ja, Verdi, das heißt ›grün‹ auf Italienisch, Giuseppe Verdi bedeutet nichts anderes als Jupp Grün, tja, und der könnte ja sozusagen auch hier im Stronikaadje wohnen, also von daher ... was ich aber sagen wollte: Ist doch gar nicht so dumm, dass der Führer die Tschechoslowakei dem Reich einverleibt hat, wirklich gar nicht so dumm, die meisten Tschechen haben sowieso Deutsch gesprochen, Dvořák vielleicht auch und dieser Herr Schlagsahne ganz bestimmt. Nein, nein, der Führer ... so eine verrückte Idee war das wirklich nicht. Und wenn es ihrer Meinung nach eine verrückte Idee gewesen wäre, dann hätten sie eben protestieren müssen. Das haben sie aber nicht getan. Sie haben die Tschechoslowakei verschleudert, Chamberlain hat sie verschleudert. Ihn trifft die Schuld, nicht den Führer. Ach, wenn alles anders gelaufen wäre, dann würden wir jetzt in der verstärkten Festung Europa leben, ohne Angst vor Bomben aus Moskau ... ach, dann würde man mir das alles auch nicht so vorwerfen ... Was quatsche ich da bloß die ganze Zeit, wo in Gottes Namen ist nur die Kolbenbolzensicherung ... verdammt, so kann man doch nicht arbeiten, woher kriege ich in Gottes Namen neue Ersatzteile für die Pefferdos ... da hocken sie bei Solex mit dem nackten Hintern drauf ... was sind das nur für Mistkerle, zum Glück bekommt man auf der Gebrauchtteilebörse inzwischen alles ... Hier ist das Kurbelgehäuse, die Kolbenbolzensicherung müsste also ... ha, da liegt sie. Was bin ich doch nur für ein Schafskopf. Da liegt das Ding vor meiner Nase, und ich übersehe es die ganze Zeit, ja, ja, der Führer ... der hat die Tschechoslowakei jedenfalls nicht übersehen ...
    Mir entging natürlich nicht, was er dort in seiner Werkstatt im Zusammenhang mit Dvořák verlauten ließ, aber weil es mir, damals jedenfalls, recht unschuldig in den Ohren klang und mir auch kein bisschen bei der Beantwortung der Frage weiterhalf, die mich im Bett oft beschäftigte – »War Jouris Vater so jemand wie der Schwarze Tinus in den beiden Büchern von Ooms?« –, ließ ich das subversive Gerede einfach über mich ergehen, ohne darauf zu reagieren. Was mich erst sehr viel später wunderte, ist, dass er offenbar in all den Jahren seinen ganzen zersetzenden Ansichten unvermindert die Treue gehalten hatte und dass er sie auch einem kleinen Jungen gegenüber äußerte, der zwar größtenteils ein unbeschriebenes Blatt war, der aber auch gerade deswegen leicht alles hätte ausplaudern können. Dass ich damals nichts sagte, erstaunt mich noch immer. Es ist fast, als wäre ich dadurch mitschuldig. Oder wäre das zu viel gesagt? Fühle ich mich schuldig, weil ich ein Mensch bin, so wie alle anderen Menschen, so wie alle Deutschen? Was sich zwischen 1933 und 1945 in Europa abgespielt hat, lässt sich zwar einerseits absolut nicht nachempfinden und ist vollkommen unvorstellbar, andererseits ist es aber auch die genau geplante und fachmännisch durchgeführte Arbeit von Menschenhänden, und dadurch sind folglich alle Menschenhände endgültig und unwiderruflich gezeichnet.

Aufnahmeprüfung
    I ch fand es wieder einmal an der Zeit, meine Mutter zu besuchen, und wartete auf günstigen Wind. Als er kräftig aus Norden blies, rief ich sie an. »Morgen schaue ich bei dir vorbei.«
    Um fünf Uhr fuhr ich los, um in aller Frühe bei meiner Mutter frühstücken zu können. Sie mag das ebenso wie ich, vorausgesetzt, ich behellige sie nicht am Sonntag. Dann muss natürlich alles hinter Hour of Power zurückstehen.
    Auf dem Treidelpfad entlang des Trekvliet brauste ich südwärts. In Höhe der Naturschutzgebiete sah ich weit vor mir einen dunkelhaarigen Mann mit einer tiefblauen Baseballkappe. Immer öfter schaute er sich nach mir um und schwenkte schließlich in die Mitte des Wegs. Ich meinte zu wissen, welcher Gedankengang unter der Baseballkappe Gestalt annahm: »Es ist noch früh am Morgen, niemand ist unterwegs, also kann der Mann nicht auf Hilfe hoffen, wenn ich ihm sein teures Konga-Rad abnehme. Dann komme ich schneller vorwärts, während er zu Fuß gehen muss.«
    Ein brillanter Einfall. Zweifellos. Aber ich wollte mein Konga-Rad nicht hergeben. Vor mir ging allerdings, langsam jetzt und sich mitten auf dem Weg

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