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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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aus dem ich damals nicht schlau wurde, von dem ich heute aber sagen würde, dass sie damit sagen wollte: »So, so, was für ein gewiefter, spezieller, außergewöhnlicher Anmachtrick!«
    Sie sagte: »Ich glaube, ich weiß jetzt ungefähr, woran ich mit Jouri und dir bin. Wann sitzt du wieder hier?«
    »In zwei Wochen. Nächste Woche hat Jouri Dienst. Dann solltest du herkommen. Vielleicht bemerkt er dich, wenn du dir jedes Mal bei ihm ein Buch ausleihst.«
    »Ich bin mindestens zehnmal hier gewesen, wenn Jouri Dienst hatte«, erwiderte sie gereizt. »Ich habe jedes Mal dasselbe Buch mitgenommen und wieder zurückgebracht, und ihm ist nicht einmal aufgefallen, dass ich immer nur Zurück zu Ina Damman ausgeliehen habe. Er hat mich stets sehr freundlich bedient, aber es war beinah so, als existierte ich für ihn einfach nicht, als schaute er über mich hinweg, als wäre ich ein Dienstmädchen, ein Fußabtreter, ein Nichts.«
    Sie schwieg eine Weile, wischte mit der Hand imaginären Staub von dem Tisch vor ihr und sagte dann: »Das bleibt aber unter uns, ja, das, was wir hier gerade besprochen haben?«
    »Ich rede mit niemandem darüber, auch nicht mit Jouri.«
    »Gib mir die Hand drauf.« Sie nahm meine Hand in ihre, drückte sie kräftig und sagte: »Versprochen.«
    Vierzehn Tage später kam sie erneut in die Prinster-Bücherei, diesmal ohne anzuklopfen. Es war inzwischen November. Draußen hingen die bleigrauen Wolken gleichsam bis zu den Fenstern herunter. Ein feiner Nieselregen bedeckte die Scheiben wie Dunst.
    »Vorige Woche war ich auch hier«, sagte sie.
    »Und?«
    »Ich habe zu Jouri gesagt, dass ich dich sehr nett finde.«
    »Was hat er darauf erwidert?«
    »Nichts. Er sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. Also sagte ich daraufhin zu ihm: ›Er ist doch dein bester Freund, oder? Dann müsstest du doch der Erste sein, der versteht, dass andere Menschen ihn auch nett finden können?‹«
    Sie kniff ihre behutsam geschminkten Augen zusammen, als wollte sie sich genau ins Gedächtnis rufen, was Jouri darauf erwidert hatte.
    » ›Nett‹ , sagte er schnippisch, › nett , das ist sowieso ein Scheißwort. Und um ihn zu charakterisieren, taugt es schon mal gar nicht. Er scheint ein Tollpatsch zu sein, ein Stümper, er wirkt ein wenig plump und ungeschickt, aber vertu dich nicht: Er ist bärenstark und superschlau. Immer und überall ist er der Beste. Als wir im zehnten Schuljahr in Chemie eine Klassenarbeit über den Stoff des neunten Schuljahrs schreiben mussten, da hatte er eine Eins. Ich hatte eine Drei und alle anderen in der Klasse ein Ungenügend.‹«
    Frederica schwieg einen Moment, sah mich an und fragte dann: »Stimmt das?«
    »Ich hatte drei Wochen lang pausenlos für diese Arbeit gelernt«, antwortete ich, »aber Jouri hatte nichts dafür getan, Jouri ist viel schlauer als ich. Ich muss ständig büffeln, muss meine Hausaufgaben machen. Er rührt keinen Finger, und trotzdem hat er immer gute Noten. Wenn er ebenso hart arbeiten würde wie ich, sähe ich kein Land mehr. Ich bin nur der Beste, weil er keinen Handschlag tut.«
    »Hat er dir davon erzählt, dass ich vorige Woche hier war und dich in den Himmel gelobt habe?«
    »Nein.«
    »Das funktioniert also nicht. Vielleicht müssen wir ja doch ... Wie sollen wir es anpacken? Wenn du einfach einmal ... freitags habt ihr doch immer sechs Stunden, genau wie wir. Wir wär’s, wenn du mich nächsten Freitag nach Hause brächtest? Meistens radelst du mit Jouri zum Schiedamseweg. Was machst du dort?«
    »Dort bekomme ich von Jouris Mutter etwas zu essen, und danach geh ich in die Werkstatt seines Vaters. Um Schallplatten zu hören, Beethoven, Brahms, Dvořák.«
    »Magst du diese Musik?«
    »Oh ja, sehr.«
    »Nicht zu glauben! Klassik! Mir dreht sich dabei der Magen um, aber mein Brüderchen hört das auch gern. Das trifft sich gut. Du bringst mich also am Freitag nach Hause und kriegst bei uns etwas zu essen. Und ich frage meinen Bruder, ob du anschließend in seinem Zimmer Platten hören darfst.«
    Am Freitag schien tatsächlich die Sonne. Der Novemberhimmel war hellblau. Am Ausgang des Fahrradkellers wartete ich auf Frederica. Zu Jouri sagte ich so beiläufig wie möglich: »Ich komm nachher zu euch. Erst muss ich Frederica kurz nach Hause bringen.«
    »Soll meine Mutter etwas zu essen für dich aufbewahren?«, fragte Jouri.
    »Nein, Frederica hat gesagt, ich könnte bei ihnen eine Kleinigkeit essen.«
    Misstrauisch starrte Jouri mich

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