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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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Lautsprecher kommt, oh, der ist so unglaublich.«

Mozart
    I n den hintersten Bänken unserer Abschlussklasse saßen bejahrte Sitzenbleiber und Kraftprotze, die in der Regel mehr als eine Klasse wiederholt hatten. Große, mürrische Kerle waren das. Während der langen Sommerferien fuhren sie bereits auf Küstenschiffen in die Ostsee. Dort im hohen Norden, so flüsterte man sich, hatten sie in den Ostseehäfen schon des Öfteren mit schwedischen Mädchen geschlafen. Von oben schauten die missmutigen Burschen auf uns herab, auch wenn wir in unseren Arbeiten bessere Noten hatten.
    Wenn Turnen auf dem Stundenplan stand, wurden jedes Mal zwei dieser Ostseeflegel auserkoren, um Mannschaften zu bilden. Abwechselnd wählten die beiden ihre Mitstreiter. Jouri und ich, mager, ungelenkig, blieben immer als Letzte übrig. Dann lehnten die Rabauken es ab, sich zwischen uns zu entscheiden. Unter Hohngelächter wurden wir schließlich vom Turnlehrer jeweils einer Mannschaft zugeteilt. Wir konnten froh sein, wenn es bei dem höhnischen Lachen blieb. Nicht selten protestierten die Rüpel heftig, wenn wir ihren Mannschaften einfach zugeordnet wurden.
    Das war verständlich. Beim Volleyball, beim Basketball und beim Fußball handelten Jouri und ich jedes Mal blindlings nach dem Prinzip: Halt dich immer so weit wie möglich vom Ball entfernt.
    Als wir jedoch am Montag nach dem besagten Freitag, an dem ich Frederica nach Hause begleitet hatte, wieder Sport hatten und das Auswahlprozedere erneut über die Bühne ging, da wurde ich schon sehr bald von einem der Grobiane in seine Volleyballmannschaft berufen. War mein Ansehen plötzlich gestiegen? War ich nicht länger ein blöder Waschlappen mit lauter Einsen und Zweien? Was mich am meisten erstaunte, war, dass ich – sogar ohne mit Jouri darüber auch nur zu reden – unglaublich stolz darauf war. Und ich merkte zudem, dass ich diese Ansehenssteigerung gerne behalten hätte. Schon deswegen sah ich der Fahrradfahrt am Freitag nach der sechsten Stunde begierig entgegen.
    An diesem Freitag schauten die Ostseeflegel Frederica und mir wieder hinterher. Im Lehrerzimmer bauschten sich die Vorhänge, als wehte eine kräftige Brise durch sie hindurch. Vom Treppenabsatz starrte der Direktor uns nach, heftig an seiner riesigen Zigarre ziehend.
    »Es läuft gut«, sagte Frederica unterwegs. »Vorgestern war ich in der Bibliothek. Dort saß Jouri, und er meinte spitz: ›Warum nimmst du immer dasselbe Buch mit?‹ Endlich hat er mich bemerkt. Und er sagte auch, ich solle dich in Ruhe lassen. Ich habe darauf erwidert: ›Dein Freund fährt mit mir zu meinem Bruder, um sich in dessen Zimmer Schallplatten anzuhören. Worüber machst du dir Sorgen?‹«
    »Das klingt noch nicht so, als hätte er bereits ein Auge auf dich geworfen«, sagte ich.
    »Macht nichts. Es ist schon ein Fortschritt, dass er mich nicht mehr ignoriert, dass er nicht mehr an mir vorbeischaut.«
    »Ich weiß nicht, ob er ...
    »Wart’s ab! Er fürchtet sich ein bisschen vor mir, genau wie du. Er hat Bammel. Und genau so soll es sein. Wer sich fürchtet, verliebt sich.«
    Mir schien dies, während wir an den rauschenden Trauerweiden im Oranjepark vorbeifuhren, eine rätselhafte, ja unsinnige Bemerkung zu sein. Doch heute, mehr als vierzig Jahre später, bin ich in erster Linie darüber erstaunt, dass ein Mädchen, das sowohl auf dem Gymnasium als auch auf dem Realgymnasium gescheitert war, damals offenbar schon mit einem so genauen Blick auf die verschlungenen Pfade der Liebe gesegnet war. Immer wieder habe ich in meinem Leben bestätigt gefunden, dass Angst der beste Nährboden für tiefe Zuneigung ist. Sogar Hunde lieben die Person am meisten, vor der sie die größte Angst haben. Offenbar wird Angst in Liebe verwandelt, um auf diese Weise die scharfen Kanten des negativen Gefühls zu brechen. Frauen verlieben sich in die Terroristen, die sie als Geiseln genommen haben.
    Bei Frederica zu Hause wurde ich vom Dienstmädchen wieder mit Eiern und Speck verwöhnt. Dann stieg ich die geschwungene Treppe im Vestibül hinauf. George, eine dünne Zigarre rauchend, erwartete mich bereits in seinem Zimmer.
    »Was soll ich dir heute mal vorspielen?«, fragte er.
    »Beethoven«, erwiderte ich, »eine Symphonie. Ich kenne die Fünfte und die Sechste . Hast du vielleicht die Siebte ?«
    »Die hab ich nicht«, sagte George, »aber ich habe vor Kurzem eine andere Symphonie gekauft. Mal sehen, wie du die findest. Ich sag noch nicht, von wem sie

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